Auf Schneeschuhen am Aletsch-Gletscher:Ein Magnet aus Schnee

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Der Aletsch-Gletscher im Schweizer Kanton Wallis zieht Skifahrer und Freerider an wie ein Magnet. Dabei gibt es hier noch so viel mehr Möglichkeiten für Wintersport: Warum nicht mal den Gletscherrand auf Schneeschuhen erkunden?

An der Seilbahnstation warten Kettenfahrzeuge auf die Ankömmlinge. So sehen die Taxis aus auf der autofreien Riederalp (1925 Meter) am Fuße des längsten Alpengletschers, des Aletsch, im Schweizer Kanton Wallis. Unter dem Vordach der Station wartet am späten Mittag aber auch Edelbert Kummer mit Schneeschuhen und Stöcken, bereit für die Expedition. Es ist die erste Schneeschuhwanderung der Saison durchs Naturschutzgebiet Aletschwald mit seinen uralten Arven. "Nennt mich Ed, der Herr ist im Himmel", sagt der bärtige Wanderleiter beim Aufbruch und verspricht: "Das Schöne ist, es sind noch keine Spuren im Schnee, alles ist unberührt."

Schweizer Kanton Wallis
:Wintersport am Aletsch-Gletscher

Das Gebiet am längsten Gletscher der Alpen im Schweizer Kanton Wallis fasziniert Schneeschuhwanderer genauso wie Freerider.

Das klingt vielversprechend. Und ohnehin: Die Region ist Weltkulturerbe. Von der Gletscherzunge unterhalb des Aletschwaldes winden sich die bis zu 900 Meter dicken Eismassen 23 Kilometer lang in Richtung Eiger, Mönch und Jungfrau. Mit der Seilbahn geht es weiter hinauf zur Moosfluh (2333 Meter).

Während die Skifahrer von hier aus Richtung Blausee abfahren, führt Eds Schneeschuhroute die Nord-Ost-Seite des Berges herab, wo sich oberhalb des Aletsch der Wald mit seinen seit 1933 geschützten Arven erstreckt. Die auch als Zirbelkiefern bekannten Bäume tragen schwer am Schnee. Sie sind im Schnitt 700 bis 800 Jahre alt. Die Schneepracht ist nicht nur unberührt, sie ist überwältigend, gleichmäßig durchzogen mit sanften Erhebungen wie Marshmallows. Unterm Schneeschuh knirscht es satt bei jedem Schritt.

Bergab kommt aber ein Wanderer nach dem anderen ins Rutschen und purzelt den Hang herab. Der 73-Jährige zeigt, wie es besser geht: vorangestreckt mit einem Knie gleiten oder erst Stufen bauen mit der Hacke.

Es geht vorbei am Hohlen Walliser, einer verbrannten Arve, die den Zigaretten-Tod gestorben ist und nun Wanderer mahnt, keine Kippen wegzuwerfen. Sogar Pinocchio steht dort in Baumgestalt mit einer langen Astnase. Und eine andere Arve hat ihre Wurzeln zehn Meter durch den Fels getrieben. "Diese Bäume sind wirklich Überlebenskünstler", staunt Ed.

Jeden Schritt nach vorne quittiert der lose Neuschnee gnadenlos mit etwas Einsinken. Das zehrt an den Kräften. In einer Senke, geschützt durch eine Felswand legt Ed eine Rast ein. Aus dem Rucksack zieht er eine Thermoskanne, die ein Erdbeermuster ziert. Dann plätschert heiß dampfend Glühwein in Pappbecher. Höchste Zeit: In Eds Bart baumeln schon kleine Eisstückchen.

Fünf halbe Tage in der Woche führt Ed Wanderer durch die Berge - und ist entsprechend fit. "Man ist weg vom Trubel, trifft nur selten andere Gäste an", sagt er. Mehr los ist auf den 70 Kilometern Winterwanderweg und vor allem auf den 104 Pistenkilometern der Aletscharena. So nennt sich das Skigebiet Riederalp zusammen mit den Nachbarn Bettmeralp und Fiescheralp. 42 Kilometer blaue und 50 Kilometer rote Abfahrt bieten auf breiten Südost-Hängen zwischen den Alp-Orten und den dahinterliegenden Gipfeln wie Moosfluh oder Bettmerhorn viel Abwechslung und Sonne.

Die Wanderung geht weiter auf der Seitenmoräne des Gletschers, einem 11.000 Jahre alten Felswall. Ein Plateau bietet freie Sicht ins Rhonetal aufs pyramidale Weisshorn und auf das markante Matterhorn. Wer sich dreht, blickt über den Gletscher hinweg zu den Drei- und Viertausendern der Berner Alpen am anderen Ende des Eises. Vor allem sticht der massive Eisstrom mit seinen Falten und Furchen ins Auge. Ab und zu säumen Fuchsspuren den Weg.

Kuhglocken mit Stroh ausgestopft

Als auf der Riederfurka (2065 Meter) die 1901 erbaute Villa Cassel auftaucht, ist ein Gutteil der knapp vierstündigen Wanderung geschafft. In dem viktorianischen Ex-Hotel weilte Winston Churchill seinerzeit als Sommerfrischler - und ließ eines Nachts entnervt die Kuhglocken mit Stroh stopfen. Heute ist dort unter anderem ein Umwelt-Infozentrum rund um Birkhähne, Murmeltiere, Rothirsche, Arven und den bedrohten Gletscher untergebracht, der jedes Jahr 30 bis 75 Meter zurückgeht.

Beim Abstieg zurück zur Riederalp dämmert es. Am Wegesrand liegen alte Walliser Chalets aus Holz, lebkuchenbraun mit dickem Zuckerguss aus Schnee auf dem Dach. Das älteste datiert von 1606, heißt Nagulschbalmu und ist heute ein Alpmuseum. Nach den Anstrengungen gibt es aber nur noch ein Ziel: Käsefondue oder Raclette.

© Dirk Averesch/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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