Reisebuch "Bloßes Leben":Aus der Zeit gefallen

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Die Reisereportagen von Andreas Altmann sind preisgekrönt. Jetzt hat er etliche nochmals veröffentlicht. Und darüber nicht bemerkt, wie sich die Dinge ändern.

Rezension von Laura Pickert

Mitten in die Flaute platzt diese satte Fülle: Der Bestseller-Reiseautor Andreas Altmann nimmt in "Bloßes Leben" nicht nur eine einzige Reise in den Fokus, sondern gleich 31. Das Buch versammelt seine Reportagen aus mehreren Jahrzehnten. Eine Art Best-of. Gar ein Vermächtnis? Eines jedenfalls haben die Texte gemein: Altmanns schonungslos unverblümten, oft humorvollen Stil. Ein großes Pferd ist eben ein Riesenvieh, und angesichts einer Himalaja-Wallfahrt hat Altmann Phallus-Assoziationen, weshalb er von einem eisigen Penis als höchstem Ziel der Gläubigen schreibt. Ob diese inkorrekte Flapsigkeit gefällt, ist Geschmackssache, der Erfolg auf dem Buchmarkt zumindest gibt Altmann recht.

Er reist gern unkonventionell, begleitet etwa einen Piloten auf illegalen Flügen

In jedem Fall weiß er von Erlebnissen zu berichten, die selten auf der Liste Reisender stehen: einen Häuptling in Ghana besuchen, in Mazedonien einem Feuertanz beiwohnen, einen Piloten in Kenia auf illegalen Flügen begleiten. Bei diesen Gelegenheiten beschreibt Altmann die Landschaften so bildlich, dass man das Gefühl hat, selbst dort gewesen zu sein. Nicht ohne Grund haben mehrere seiner Reportagen und Bücher Journalisten- und Literaturpreise gewonnen.

Allerdings drängt sich bereits mit den ersten Seiten eine Frage auf: Sind diese Texte noch zeitgemäß? Oder präziser: Hätten sie eigentlich niemals zeitgemäß sein dürfen? Das Frauenbild, das Altmann in seinen Reportagen zeichnet, ist fast immer dasselbe: "formschöne" Wesen, die hübsch anzusehen sind - und deshalb beispielsweise nur als "die Nacktbeinige" bezeichnet werden. Mit Freude stellt Altmann fest, dass in Havanna "Hinterherpfeifen noch erlaubt" sei, und erzählt davon, wie bei einer jungen Studentin deren "anmutiger Hintern" zum Vorschein gekommen ist. Frauen sind für ihn nicht mehr als Objekte.

Bestechlichkeit sei ein Teil der DNA von Mexikanern, behauptet der Autor

Aber nicht nur deren Beschreibung hinterlässt einen faden Beigeschmack, sondern auch die Pauschalisierung von Menschen. So hätten tausend Jahre Überlebenskampf die junge Generation der Isländer weniger wehleidig gemacht, Bestechlichkeit sei "Teil der nationalen DNA" von Mexikanern und dunkelhäutige Menschen seien besonders leidensfähig. Ganze Bevölkerungsgruppen auf eine einzige Eigenschaft zu reduzieren, zeugt von Ignoranz und ist nicht zuletzt beleidigend.

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Da passt es ins Bild, dass Altmann behauptet, lediglich einen Tag zu benötigen, um sich wie ein Einheimischer zu bewegen. Zugegebenermaßen gelingt es ihm, die weniger touristischen Pfade zu finden - beispielsweise, indem er einen Bekannten überzeugt, einen illegalen Hahnenkampf mit ihm zu besuchen. Allerdings nicht unbedingt aus journalistischem Interesse: Der Kampf wird zwar detailliert beschrieben, die ihm innewohnende Problematik jedoch außen vor gelassen. Altmann findet in jeder seiner Reportagen spannende Protagonisten, die sich ihm anvertrauen, was er wiederum für die eigenen Bedürfnisse ausnutzt. Zum Beispiel gibt er zu, einen hilfsbereiten Kubaner in Gefahr gebracht zu haben, um in dessen Wohnung mit einer Frau die Nacht verbringen zu können.

Immer wieder wird deutlich, dass die Reportagen teilweise bereits vor Jahrzehnten erstmals publiziert worden sind. Ebenso alt wie die Texte sind aber auch viele Ideen darin. Vielleicht ist das im damaligen Kontext nicht negativ aufgefallen - aber ist es tatsächlich notwendig, sie erneut unkommentiert in einer Sammlung zu veröffentlichen? Im Vorwort hofft Altmann, dass sein Buch wie ein Aphrodisiakum auf die Reiselust einwirken möge - stattdessen führt es regelmäßig zu Freude darüber, dass gewisse Dinge endlich der Vergangenheit angehören.

Andreas Altmann : Bloßes Leben. Piper-Verlag, München 2022. 304 Seiten, 17 Euro.

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