Hotel Fatal:Was ist ein gutes Hotel?

Lesezeit: 3 min

Warum Grand Hotels ihre Patina pflegen und die Gäste sich dem langsamen Kreislauf der eleganten Häuser anpassen sollten, das weiß der weitgereiste Wassili.

Max Scharnigg

Es ist spät geworden in der kleinen Bar am Münchner Thierschplatz. Der Barkeeper hat das Licht jede Stunde ein bisschen dunkler gedreht, so dass der weitgereiste Wassili nun im Halbdunkel sitzt, seit einer halben Stunde versunken vor einem kleinen Portweinglas. Schließlich fängt er, ohne den Kopf zu heben, zu reden an, obwohl da gar niemand ist.

(Foto: Foto: Hotel Baur au Lac)

"Ein gutes Hotel", sagt der weitgereiste Wassili also und fasst sich andächtig ans Ohrläppchen, "ein gutes Hotel ist ein lebender Organismus. Ich spreche nicht von all den wackligen Landgasthöfen, in die ich mich in romantischer Anwandlung quartierte, nicht von den geduckten Stadthotels, in die ich gebucht wurde und die eingezwängt waren in eine Lücke, die einst eine Bombe riss. Ich meine nicht diese hygienischen Airport-Hotels mit den Business-Lounges, nicht die überbelichteten Luxus-Ressorts von denen man ständig liest und nicht die viel zu kleinen Designhotels, in welchen man seinen Mantel nicht aufhängen kann und wo der Kaffee aus der Wand kommt. Ich meine", sagt der weitgereiste Wassili und hat jetzt die faltigen Augen fast ganz geschlossen, "die solitär stehenden, großen Häuser, die Grand Hotels. Diese letzten Oasen blank gewienerter Gastlichkeit, ruhende Dinosaurier randvoll mit Kronleuchtern und Pagen und Silberbesteck.

Ein solches Hotel, wenn es wirklich noch atmet und nicht nur noch Luft in seine Hülle gepumpt wird, gibt seinen Gästen Sicherheit. Die Sicherheit, dass es auch über Nacht auf den Mond oder in die Vulkaneifel verpflanzt werden könnte und dort am nächsten Morgen genauso reibungslos und perfekt funktionieren würde. Diese Garantie und ein wenig extrafrische Luft aus dem geöffneten Fenster, das lässt die Gäste hier ruhiger schlafen als irgendwo sonst.

Das Fenster darf übrigens ruhig ein bisschen hakelig zu öffnen sein, das gehört dazu, diese Häuser können es sich leisten in kleinen Dingen nicht perfekt zu sein und nur ein Dummkopf würde sich darüber mokieren. Vielleicht hast du bemerkt", Wassili dreht den Kopf und blinzelt vage ins Dämmerlicht, "vielleicht hast du bemerkt, dass sie auch den dezent abgewetzten roten Teppich auf den Treppenstufen nicht austauschen, wie es wohl in Las Vegas geschehen würde, nein, sie werden tunlichst diese Patina pflegen, denn das ist die Zeitrechnung, nach der diese Häuser leben, nicht die Uhr.

Im Gegenteil, die Schweizer Hoteldirektoren, denn wenn irgendein Mensch diese Häuser leiten kann dann Schweizer oder vielleicht auch noch Allgäuer, sie erlauben sich an manchen Tagen sogar, die große, goldene Uhr in der Lobby anzuhalten, wenn sie merken, dass die Zeit dem Haus ein wenig zu schnell geht. Ihre eigene Uhr am Handgelenk, weißt du, die läuft natürlich auf die Sekunde genau, denn sie stehen als Taktgeber einem riesigen Orchester vor, von dessen Arbeit der Gast nichts anderes wahrnehmen wird, als ein leises, beruhigendes Summen.

Diese Häuser sind unübersichtlich, undemokratisch und vermutlich unrentabel, aber genau das macht sie großartig, sie sind aus der Zeit gefallen. Der Gast darf gar nicht begreifen, wie sie funktionieren, wie die polierten Schuhe wieder in seinen Schrank kommen, auf welchen Fingerzeig hin die Pagen seine Koffer nehmen und wie der Portier sich über Jahre hinweg die Namen der Gäste merken kann. Er bezahlt dafür, dass er hier wie nebenbei verzaubert wird.

Und wer heute", der weitgereiste Wassili macht eine lange Pause, aber er schläft nicht, noch nicht, mit leiser Stimme spricht er weiter "und wer heute als Gast das Glück hat, von so einem eleganten Hotelungetüm verschluckt zu werden, der tut gut daran, sich seinem Atmen und dem seltsamen Kreislauf anzupassen. Selbst wenn er sich die teuerste Suite leistet, wird er feststellen, dass der anmutigste Zimmerschmuck seine eigene Demut ist, vor dieser alten, geschmeidigen Umgebung. Und weißt du, im Grunde wollen die Menschen in den teuersten Suiten nichts anderes, sie wollen endlich mal ein Teil von etwas sein, das älter und perfekter ist als sie selber. Etwas das schon vor hundert Jahren nach den gleichen Maßstäben funktionierte und das sie damit auch noch überleben wird." Der weitgereiste Wassili hält die Luft an, ein paar Sekunden später beginnt er weltgewandt zu schnarchen.

Baur au Lac, Zürich, +41 (0)44 220 50 20 The Oriental, Bangkok, +66 (2) 65 990 00 Ritz, Paris, +33 (0) 14 316 30 30 Hotel Sacher, Wien, +43 (0)1 - 51 456 0 The Peninsula, Hong Kong, 00 800 2828 3888

Max Scharnigg, 28, arbeitet als Journalist in München und ist Mitglied der jetzt.de-Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Seine Wochenenden verbringt er am liebsten in interessanten Hotelzimmern mit Bad oder Dusche.

© sueddeutsche.de/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: