Zypries zu Vormundschaften für Kinder:"Mehr Akte als Mensch"

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Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beklagt den geringen Kontakt von Vormund zum Kind - und dringt auf gesetzliche Änderungen.

Johann Osel

Nach einer Studie über Kinder in schwulen und lesbischen Familien besetzt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) jetzt zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ein Familienthema. Der Bericht einer von ihr eingesetzten Expertengruppe empfiehlt eine Reform der Vormundschaften für Kinder und fordert Korrekturen einzelner Paragraphen. Schon einmal hatte dieses Gremium eine Gesetzesänderung bewirkt. Das Kinderschutzgesetz von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist hingegen gescheitert - vor allem an der SPD.

"Die Verantwortung liegt nicht nur beim Staat, sondern auch bei jedem Einzelnen, nicht wegzuschauen": Brigitte Zypries (Foto: Foto: AP)

SZ: Das Kinderschutzgesetz der Familienministerin, das ideell in eine ähnliche Richtung ging wie die Arbeitsgruppe, ist abgelehnt worden. Warum?

Zypries: Der Vorschlag der Familienministerin ist im Bundestag gescheitert, weil die Experten einen Teil ihres Entwurfes für praxisuntauglich erklärt haben. Das Kinderschutzgesetz muss in der nächsten Wahlperiode kommen, dann aber mit einem breiteren Ansatz, der weniger auf Kontrolle und Staat setzt.

SZ: Der neue Expertenbericht kümmert sich nun um amtliche Vormundschaften. Was sollte sich konkret ändern?

Zypries: Bei zwischen 60 und 120 Kindern pro Amtsvormund ist das einzelne Kind oft mehr Akte als Mensch. Das müssen wir ändern, etwa durch gesetzliche Vorgaben zum persönlichen Kontakt. Mein Ziel ist eine persönliche Beziehung zwischen Vormund und Kind. Auch an anderen Stellschrauben können wir drehen, damit das Kind stärker in den Mittelpunkt rückt. Und wir müssen die Zahl der Kinder pro Amtsvormund auf ein vernünftiges Maß reduzieren.

SZ: Derart hohe Schlüssel sprechen nicht für ausreichende Finanzierung.

Zypries: Das ist ein Riesenproblem; die Arbeitsgruppe hat zu Recht die Frage aufgeworfen, wie wir jenseits von Amtsvormündern zu mehr Ehrenamt in Vormundschaft und Pflegschaft kommen können. Ich bin überzeugt: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können wir viele Menschen für eine derartig verantwortungsvolle Aufgabe mobilisieren. Dazu muss der Staat seinen Beitrag leisten - durch Information und Beratung.

SZ: Wie schätzen Sie Ihre Chancen im Kabinett ein?

Zypries: Ich habe meine Mitarbeiter beauftragt, auf Grundlage des Berichts über Gesetzesänderungen nachzudenken. Ich bin der Meinung, dass sich bei Vormundschaft und Pflegschaft etwas ändern muss. Das wird sicherlich ein wichtiges Projekt für die nächste Legislaturperiode.

SZ: Gelangen nicht Gesetze oft in der Praxis zwangsläufig an ihre Grenzen?

Zypries: Gefragt ist nicht blinder Aktionismus, nötig sind vielmehr zielgerichtete Maßnahmen. Wir haben den Kinderschutz in vielen Bereichen schon verbessert, etwa durch das Gewaltverbot in der Erziehung oder ein erweitertes Führungszeugnis für Bewerber im Jugendbereich. Der Gesetzgeber kann und muss seinen Beitrag leisten.

Er muss aber deutlich machen, dass die besten Gesetze weder den wachsamen Nachbarn noch die aufmerksame Kindergärtnerin ersetzen können. Die Verantwortung liegt nicht nur beim Staat, sondern auch bei jedem Einzelnen, nicht wegzuschauen.

© SZ vom 18.08.2009/plin - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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