Zwist mit libyscher Übergangsregierung:Rebellen verweigern Auslieferung des Lockerbie-Attentäters

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Er gilt als Drahtzieher des Attentats von Lockerbie, bei dem 1988 in Schottland 270 Menschen starben. Dafür erhielt der Libyer Abdelbaset al-Megrahi lebenslänglich - und kam todkrank frei. Jetzt fand ihn ein amerikanisches Kamerateam nahe Tripolis - im Koma, abgemagert, vom Krebs zerfressen. US-Politiker fordern dennoch seine Auslieferung. Doch die Rebellenführung blockt ab - und die Schotten wundern sich.

Oliver Das Gupta

Am 28. Oktober 2008 schickte die US-Botschaft in London brisante Mitteilungen an das Washingtoner Außenamt. Depesche "08LONDON2673" enthielt Informationen über den Gesundheitszustand von Abdelbaset al-Megrahi, besser bekannt als: Lockerbie-Attentäter.

"An der Schwelle des Todes": Lockerbie-Attentäter Abdelbaset al-Megrahi mit seiner Mutter, gefilmt vom einem Kamerateam des TV-Senders CNN. (Foto: N/A)

Der frühere Sicherheitschef der staatlichen libyschen Fluggesellschaft und Geheimdienstoffizier war der Einzige, der für den Terroranschlag vom 21. Dezember 1988 bestraft wurde. Eine ins Gepäck geschmuggelte Bombe hatte damals eine Maschine der US-Fluggesellschaft Pan Am über der schottischen Ortschaft Lockerbie zerfetzt. 270 Menschen starben, die meisten waren Amerikaner.

Abdelbaset al-Megrahi beteuerte bis zuletzt seine Unschuld, trotzdem lieferte ihn das Regime Muammar al-Gaddafis nach jahrelangem Lavieren aus. Der Familienvater wurde 2001 nach schottischem Recht in den Niederlanden verurteilt und verbüßte eine lebenslage Freiheitsstrafe. 2009 ließen ihn die schottischen Behörden jedoch frei - aus "humanitären Gründen" und unter der Bedingung, sich regelmäßig bei schottischen Behörden zu melden. In Libyen stieß die Nachricht auf Jubel, im Ausland zum Teil auf Unverständnis.

Doch die "humanitären Gründe" waren ärztlich verbürgt: Im Herbst 2008 hatten Mediziner diagnostiziert, Megrahi sei todkrank, die Inhaftierung nicht länger zumutbar. Prostatakrebs im Endstadium, Metastasen in den Beinen, "nicht operabel und nicht heilbar", so steht es in der vertraulichen Botschaftsdepesche aus London, die vom Internet-Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlicht wurde.

Das Geheimschreiben erhält in diesen Tagen neue Aufmerksamkeit. Denn seit der Eroberung von Tripolis durch die Aufständischen sorgt der Fall Megrahi erneut für Aufregung. Gerüchten zufolge war der Attentäter gemeinsam mit dem Gaddafi-Clan abgetaucht, als die Rebellen mit Luftunterstützung der Nato auf die libysche Hauptstadt vorrückten.

Tatsächlich war Megrahi zu solch einer Aktion nicht in der Lage. Ganz im Gegenteil.

Der US-Sender CNN spürte den heute 59-Jährigen nun in einer Villa in Tripolis auf: eine ausgezehrte Gestalt am Tropf, bewusstlos, mit einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht. "Koma", radebrecht sein Sohn im Interview. Es gebe keine medizinische Versorgung für den Vater.

Neben dem Bett kauert eine Greisin mit Kopftuch, Megrahis Mutter. Der Attentäter stehe an der Schwelle des Todes, konstatiert der CNN-Reporter - so, wie es die Ärzte prognostiziert hatten.

Vor allem in den USA hatte es bei Megrahis Freilassung massive Zweifel an der medizinischen Diagnose gegeben. Dass der britische Ölkonzern BP etwa zur gleichen Zeit mit dem Gaddafi-Regime über Ölförderprojekte in Libyen verhandelte, tat sein Übriges. Zwar beteuerte die britische Regierung, damals unter Labour-Premier Gordon Brown, dass alles mit rechten Dingen zuging. Doch der Argwohn bei den Amerikanern blieb.

Mit dem Sturz des Gaddafi-Regimes fühlt sich nun manch ein US-Politiker an den Fall Megrahi erinnert. Und so kommt es, dass das Attentat von 1988 heute für Verstimmung zwischen den Amerikanern und dem Nationalen Übergangsrat von Libyen sorgt.

Abdelbaset al-Megrahi auf einer Propaganda-Veranstaltung des Gaddafi-Regimes am 26. Juli in Tripolis (Foto: Reuters)

Seit Tagen fordern namhafte US-Parlamentarier die Rebellenführeung dazu auf, den Attentäter auszuliefern. Megrahi müsse festgenommen und ausgeliefert werden, damit es "endlich Gerechtigkeit" geben könne, sagte etwa der republikanische Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney.

Auch die beiden Senatoren des US-Bundesstaats New York, Charles Schumer und Kirsten Gillibrand, forderten die Festnahme Megrahis. Dessen Freilassung aus schottischer Haft 2009 sei ein "völliges Fehlurteil" gewesen, kritisierte Gillibrand, als US-Demokratin eine Parteifreundin von Präsident Barack Obama.

Die Politikerin verwies darauf, dass Megrahi noch vor einem Monat bei einer Kundgebung für Gaddafi auf der Tribüne eines Stadions gesichtet worden sei. Es sei "ein Schlag ins Gesicht" für die Familien der Lockerbie-Opfer, schäumte Gillibrand, ihn dort bei bester Gesundheit als Teilnehmer zu sehen. Dabei ging sie allerdings geflissentlich darüber hinweg, dass Megrahi sichtlich abgemagert war und im Rollstuhl saß. Der bei seiner Rückkehr nach Tripolis von Gaddafi als Held gefeierte Attentäter war offenbar aus Propagandazwecken zu der Veranstaltung gekarrt worden.

Auch Robert Menendez, demokratischer Senator des US-Bundesstaats New Jersey, schloss sich den Forderungen an: Eine Auslieferung Megrahis wäre in seinen Augen ein Signal an die Welt, dass das neue Libyen an Gerechtigkeit glaube und die Absicht habe, sich an internationales Recht zu halten.

Doch die Rebellenführung wiegelt ab.

Kein libyscher Staatsbürger werde ausgeliefert, sagte der Justizminister der Aufständischen, Mohammed al-Alagi. Die Aufforderung der US-Senatoren sei bedeutungslos, weil der Attentäter bereits vor Gericht gestanden habe und verurteilt worden sei. "Wir werden keinen libyschen Staatsangehörigen ausliefern. Es war Gaddafi, der libysche Staatsangehörige ausgeliefert hat", sagte der Rebellen-Minister. Die Los Angeles Times zitierte zudem einen Vertreter des libyschen Übergangsrates, wonach eine Entscheidung erst nach der Wahl einer neuen Regierung erfolgen könne. Das könne bis zu zwei Jahren dauern.

Doch nicht nur in Libyen, auch in Schottland schüttelt man den Kopf über die Forderungen aus den Vereinigten Staaten: Es gäbe keine Indizien dafür, dass Megrahi seine Auflagen gebrochen habe, zitiert der Guardian eine Stimme aus der schottischen Regionalregierung. Die Familie des Attentäters habe Kontakt mit den Behörden gehalten - wie bei der Freilassung eingefordert. Die Spekulationen über Megrahi seien "nicht hilfreich, unnötig" und zeugten davon, dass man sich schlecht informiert habe - eine Anspielung auf die erwähnte Depesche aus dem Jahr 2008, die dank Wikileaks im Inte rnet einsehbar ist.

Demnach müssten die Amerikaner um den Gesundheitszustand des Delinquenten ebenso wissen - und ebenso, dass das ärtzliche Bulletin von 2008 mit seiner Prognose richtig lag: Damals meldete die Londoner Botschaft, bei der Schwere der Erkrankung könne ein Mensch noch fünf Jahre leben. Im Fall von Megrahi rechne man mit seinem Tod "zwischen 18 Monaten und zwei Jahren".

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