Selten geht die Bewertung eines Falles zwischen Strafjuristen und Öffentlichkeit so weit auseinander wie im Fall Edathy: Die Strafjuristen, die mit dem Verfahren befasst sind und das Beweismaterial kennen, wollen das Verfahren möglichst schnell einstellen; sie sind peinlich berührt von dem Abgrund an Unverhältnismäßigkeit, der sich aufgetan hat zwischen dem allenfalls kleinen strafrechtlichen Kern des Verfahrens und den Folgen, die dieses Verfahren schon angerichtet hat.
Die Öffentlichkeit dagegen, jedenfalls der Teil davon, der durch das Bohai der Ermittlungen neugierig und hysterisiert wurde, will jetzt alles genau wissen: Sie will die Bilder und die Filme, die sich der Beschuldigte bestellt hat, aus den durch Geheimnisverrat schon durchlöcherten Akten holen und dann in öffentlicher Verhandlung vorgeführt sehen.
Die Öffentlichkeit will die Bilder betrachten, mit denen sich der Beschuldigte aufgegeilt hat, um sich daran selber aufzugeilen; sie will die nun seit über einem Jahr von Indiskretionen angestachelte Neugier und die Lust am Skandal befriedigen; und sie will dann ihr schon gefälltes Urteil sprechen; nicht unbedingt ein juristisches, aber ein moralisches.
Das ist die Situation vor dem zweiten Verhandlungstag gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Edathy. Auch die Ermittlungsbehörde, die schuld daran ist, dass es so weit gekommen ist, will jetzt die Einstellung des Verfahrens; die Staatsanwaltschaft will die Geister, die sie gerufen hat, wieder loswerden.
Von Schuldeingeständnis steht nichts im Gesetz
Aber sie will dabei ihr Gesicht wahren: Deshalb fordert sie von Edathy ein Schuldeingeständnis als Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens gegen eine kleinere Geldauflage. Von einem solchen Schuldeingeständnis steht freilich nichts im Gesetz, ein solches Verlangen ist systemwidrig. Die Staatsanwaltschaft verlangt es, um sich aus der Sache irgendwie und vermeintlich halbwegs anständig herauszuwinden.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen Edathy ermittelt, als handele es sich um einen islamistischen Terroristen. Staatsanwaltschaft, Bundeskriminalamt und offenbar auch die Polizei vor Ort sind verantwortlich dafür, dass Details aus diesen Ermittlungen frühzeitig in der Öffentlichkeit kursieren konnten; die Ermittler sind verantwortlich für Indiskretionen und Geheimnisverrat; 57 vorzeitige Mitwisser sollen die Ermittlungen gehabt haben.
Die politischen Geschwätzigkeiten und Schuldzuweisungen, die daraus entstanden sind, haben den geschwundenen strafrechtlichen Kern der Vorwürfe gegen Edathy substituiert.
Die Ermittlungen konnten deshalb so exzessiv geführt werden, weil der Vorwurf "Kinderpornografie" lautet. Bei keinem anderen Delikt ist die Öffentlichkeit so sensibel - es ist ein Wort, das zu Recht Erbitterung und Abscheu auslöst. Wenn wegen Kinderpornografie ermittelt wird, kann die ermittelnde Behörde daher mit allem Verständnis rechnen, auch für Übertreibungen.
Schwierigkeiten mit dem öffentlichen Interesse
Das Problem im Fall Edathy ist, dass die Ermittler es so übertrieben haben, dass ihnen das selbst nicht mehr geheuer ist. Deshalb greift man nun zur Einstellungsvorschrift des Paragrafen 153 a Strafprozessordnung. Dort findet sich aber eine bemerkenswerte Formulierung: Es steht dort, dass ein Verfahren eingestellt werden kann, wenn durch (Geld-)Auflagen "das öffentliche Interesse der Strafverfolgung" beseitigt werden kann.
Da gibt es nun Schwierigkeiten. Die Staatsanwaltschaft hat das öffentliche Interesse entfacht - und jetzt soll das Verfahren unter Berufung auf ein angeblich nicht vorhandenes öffentliches Interesse eingestellt werden?
Selten hat sich eine Staatsanwaltschaft so bloßgestellt. Und selten wurde das Irrationale an der Einstellungsvorschrift des Paragrafen 153 a so deutlich. Für diese Vorschrift gibt es keine vernünftigen Regeln.