Das zweite Jahr im Prozess gegen die rechtsradikale Terrorgruppe NSU ist am Mittwoch zu Ende gegangen - und gerade dieser letzte Tag in diesem Jahr hat wieder einmal deutlich gemacht, welches Gedankengut die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und ihre beiden Gefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vertraten. Eine Gedankenwelt, die manchmal in den vielen Mosaiksteinen der Beweisaufnahme fast untergeht.
"Sonnenbanner" heißt die Kampfschrift, die 1998 in der Garage von Beate Zschäpe in Jena gefunden wurde. Sie ist quasi eine Anleitung für den bewaffneten Kampf im Untergrund. Und zwar genau in der Ausprägung, wie ihn der NSU betrieb. Der Beisitzende Richter Peter Lang verlas das Schriftstück, das verziert ist von gezeichneten Adlern, Fäusten und Stiefeln.
Ein "Karl Ketzer" schrieb dort, es sei einfach für die Polizei, Skinheads an ihrem Aussehen zu erkennen. "Also Verzicht auf B-Jacken, Springerstiefel, Braunhemden oder Ähnliches. Überlege auch, ob es nicht günstig ist, Deinen Haarschnitt zu ändern. Streng gescheitelt oder mit frisch rasierter Glatze fällst Du automatisch auf. Wichtig ist nicht Dein Äußeres, sondern Dein Inneres. Einen gefestigten Menschen erkennt man nur an seinen Taten."
"Bildet Zellen"
Und dann kommen die Anweisungen: "Passe Dich also in Deinem Erscheinungsbild dem Normalbürger vollkommen an. Vermeide Äußerungen zur Ausländerfrage, zum Holocaust oder ähnlichen Themen. Konzentriere Dich in der Öffentlichkeit hauptsächlich auf die sozialen Missstände. Prangere die viel zu hohe Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Umweltverschmutzung und Sauereien durch amtierende Politiker an. Das ist viel wirkungsvoller und absolut legal!" Und dann noch der Hinweis: "Bildet Zellen."
So eine Zelle bildete wie nach dem Rezeptbuch des "Sonnenbanners" der NSU: Äußerlich angepasst, unauffällig, keiner der drei propagierte nach dem Untertauchen im Untergrund Ausländerhass. Zeugen berichten, dass sich die drei ganz normal kleideten und die Männer auch ihre Haare wachsen ließen. Aber der NSU nahm sich zum Wahlspruch: Taten statt Worte. Die Gruppe soll zehn Menschen ermordet haben.
Das Jahr 2014 war im NSU-Prozess von Mühe gezeichnet: der Mühe, all die losen Enden zusammenzubinden, Mosaiksteine in ein sehr braunes Bild zu setzen. Im ersten Halbjahr traten noch Angehörige von Getöteten als Zeugen auf, sowie eine Polizistin und eine Ärztin, die Anschläge des NSU schwer verletzt überlebt haben. In den letzten Monaten bestimmten Zeugen das Bild, die in erster Linie schwiegen - aus eiserner Solidarität zur rechtsradikalen Szene. Es waren mühevolle Tage.
Dennoch schreitet der Prozess voran: Alle zehn Morde wurden bereits abgearbeitet, im Januar soll das große Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße behandelt werden, wo 2004 mehr als 20 Menschen verletzt worden waren. Dann könnten sich die 15 Banküberfälle anschließen, bei denen ebenfalls Menschen schwer verletzt wurden. Zwar hat Richter Manfred Götzl Termine bis zum 12. Januar 2016 angesetzt, aber das könnte auch ein Schuss vor den Bug sein, um alle Prozessbeteiligten zu disziplinieren.
Am Mittwoch tat das Gericht einiges zur Beschleunigung: Es lehnte mit fast einem Dutzend Beschlüssen den Wunsch der Nebenkläger nach der Befragung weiterer Zeugen und Zuziehung neuer Akten ab. Es ist ein Zeichen, dass es nun schneller vorangehen soll.
Immer wieder kommen auch neue Erkenntnisse im Prozess ans Tageslicht. So wie der Anschlag, der im Juni 1999 in einer Gaststätte in Nürnberg verübt wurde, die vor allem von Ausländern besucht wurde. Dabei war ein türkischer Putzmann an Armen und im Gesicht verletzt worden. Die Polizei fand keinen Täter; am Ende wurde der Geschädigte selbst verdächtigt, mit dem Anschlag zu tun zu haben.
Schwarzpulver wie bei Chinaböllern
Im Prozess hatte der Mitangeklagte Carsten S. überraschend erklärt, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten ihm damals gesagt, sie hätten in Nürnberg "eine Taschenlampe hingestellt". Carsten S. konnte auch den Zündmechanismus genau beschreiben. Die Bombe wurde scharf, indem auf den Schalter der Lampe gedrückt wurde. In das Rohr hatten die Täter Schwarzpulver eingefüllt. Das bestätigte am Mittwoch ein Sprengstoffexperte, der damals ermittelt hatte. Es handele sich um Schwarzpulver wie in Chinaböllern, sagte er.
Solches Schwarzpulver befand sich auch in der Bombe, die der NSU zum Jahreswechsel 1999/2000 in einem Lebensmittelgeschäft in Köln gelegt hatte. Dabei war eine junge Frau nur knapp dem Tod entronnen. Auch der Anschlag in Nürnberg sollte noch blutiger ausfallen. Die Täter hatten die Rohrbombe angesägt, damit sie zersplittert. Das funktionierte nicht.