SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 8:"Bei den Männern, die allein sind, merkt man, dass etwas fehlt"

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Wenn Flüchtlinge mit ihrem Nachwuchs nach Deutschland kommen, kann das die Integration erleichtern. Eine Sozialarbeiterin warnt jedoch davor, die Kinder zu überfordern.

Interview von Jasmin Siebert

Seit 2015 betreut Cristina Gallegos in München Bewohner von Sozialwohnungen. Die Sozialarbeiterin war dabei, als die ersten geflüchteten Familien einzogen, manche mit vielen Kindern und nicht mehr als ein paar Plastiktüten.

SZ: Frau Gallegos, welche Bedeutung haben Kinder von geflüchteten Familien bei der Integration?

Cristina Gallegos: Es ist normal, dass Kinder schneller Deutsch lernen. Sie haben noch nicht so feste Strukturen im Kopf, sie passen sich schneller an. Oft sprechen die Eltern ihre Muttersprache, und die Kinder antworten auf Deutsch. Manche Jugendliche bestimmen: Heute sprechen wir alle Deutsch. Auch wenn es die Eltern nicht so gut können, bleiben sie hart. Manchmal ist es aber auch so, dass die Kinder für die Eltern im Alltag dolmetschen müssen.

Welche Auswirkungen hat es auf das Familiengefüge, wenn Kinder ihre Eltern durch den Alltag lotsen?

Für die Eltern ist es anfangs eine Entlastung, aber die Kinder sind überfordert. Wenn Eltern ihre Kinder als Übersetzer in die Beratung bringen, sagen wir: Sie als Eltern sollen Ihr Kind unterstützen und nicht umgekehrt. Die meisten Eltern verstehen das mit der Zeit.

Kinder gehen in den Kindergarten, in die Schule. Fällt es Familien leichter, sich zu integrieren?

Wenn Eltern ihre Kinder abholen, treffen sie andere Eltern und kommen eher ins Gespräch. Auch auf dem Spielplatz treffen sie Einheimische. Diese Möglichkeit hat ein alleinstehender Mann nicht.

Cristina Gallegos, 34, arbeitet für die Stadt München. Sie stammt aus Mexiko. Ihr selbst hat es bei der Integration geholfen, mit ihrem deutschen Partner über Mülltrennung und das Wort „Ruhestörung“ zu diskutieren. (Foto: privat)

Welche Faktoren sind wichtig, damit die Integration von Familien gelingt?

Oft liegt der Fokus auf den Kindern: Nachhilfe, Sport, Patenschaften. Doch wir dürfen die Eltern nicht vergessen. Sie sollten schnell Deutsch lernen und einen einfachen Zugang zu Ausbildung und Arbeit haben. So wird Frustration vermieden und dass Kinder und Eltern Rollen tauschen.

Gerät das Familiengefüge ins Wanken, wenn die Eltern merken, dass auch die Rollen von Mann und Frau hier ganz anders funktionieren?

Die Beratungsgespräche drehen sich oft um die Rolle der Frau. Auch Mütter müssen Integrationskurse besuchen. So entsteht eine Dynamik, die den Frauen sehr gefällt. Viele haben Deutschkurse auf höherem Niveau bestanden und wollen weiterlernen. Sie genießen das.

Wie reagieren geflüchtete Männer mit einem traditionellen Rollenverständnis , wenn die Frauen nicht mehr nur Hausfrau sein wollen?

Wir erklären, dass es hier ganz normal ist, dass Frauen arbeiten. München ist teuer.

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Sie argumentieren also ökonomisch. Akzeptieren das die Männer?

Sie erzählen oft, dass sie in ihrer Heimat die Familie alleine versorgt haben und die Frau nicht das Bedürfnis hatte zu arbeiten. Doch hier bleibt ihnen nichts anderes übrig. Ich erlebe bei den meisten Männern große Aufgeschlossenheit. Einmal sagte einer zu mir: Ich will nicht, dass meine Frau eine Ausbildung macht - sie soll studieren.

Thema Kindererziehung: Erleben Sie da kulturelle Konflikte?

Die Bewohner unserer Häuser ließen anfangs auch jüngere Kinder ohne Aufsicht draußen spielen. Bei den Bewohnerversammlungen mussten wir immer wieder erklären: Das geht in einer deutschen Großstadt nicht. Viele Eltern haben gefragt: Warum müssen wir selbst dabei sein, wenn die Kinder so schön spielen? Sie wunderten sich, dass die Nachbarn nicht gucken. Anstelle von Nachbarn und Verwandten helfen im Alltag Netzwerke von Landsleuten, die schon länger hier leben.

Diese Netzwerke bergen die Gefahr, unter Seinesgleichen zu bleiben und sich abzuschotten.

Wir Mexikaner treffen uns ab und zu, sprechen Spanisch und kochen unser Essen. Das tut gut, das ist unser Stück Heimat. Genauso machen es unsere Bewohner. Doch je länger man hier ist, desto häufiger sollte man sein Netzwerk verlassen. Damit Neuankömmlinge andere Leute kennenlernen, ist es wichtig, dass sich Einheimische ehrenamtlich engagieren.

Welche Bedeutung hat der Familiennachzug für die Integration?

Bei den Männern, die allein sind, merkt man, dass etwas fehlt. Sie sind immer in Sorge um ihre Familie. Wenn die da ist, bekommen die Männer einen Motivationsschub. Sie wollen einen besseren Job finden und noch besser Deutsch lernen.

Familie ist der Ort, an dem die Traditionen aus der Heimat bewahrt werden. Wie kann das geschehen, ohne dass die Integration behindert wird?

Ich finde es wichtig, dass Familien, die alles verloren haben, ihre Kultur bewahren. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, haben einen großen Vorteil. Die Eltern sollten die alten Bräuche nicht loslassen, aber auch neue annehmen. Unsere muslimischen Familien stellen zum Beispiel Weihnachtsbäume auf. Genauso können Christen das Zuckerfest mitfeiern. Integration ist ein bilateraler Prozess, er betrifft auch alle, die schon länger hier leben. Ohne deren Hilfe ist Integration schwierig.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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