Zivilgesellschaft:Attac gewinnt Mitglieder

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Vereine bangen nach Steuer-Urteil des Bundesfinanzhofs um ihren Status als gemeinnützig.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Attac gibt nicht auf, im Gegenteil. "Jetzt erst recht - Mitglied werden!", wirbt das Netzwerk auf seiner Homepage, daneben ein Spender und sein Statement: "Auch wenn ich beruflich gewöhnt bin, wirtschaftlich zu denken, möchte ich mich mit meinen Spenden nicht nach dem Gutdünken eines Finanzamts richten", lässt er wissen. "Im Gegenteil, ich habe umso mehr an Attac gespendet!"

Gut eine Woche ist es her, dass der Bundesfinanzhof dem kapitalismuskritischen Netzwerk die Gemeinnützigkeit absprach. "Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck", befanden die Münchner Richter. Den Verein, der seit 2014 vor Gerichten um den Status der Gemeinnützigkeit streitet, trifft das schwer. Nicht nur kann er keine Spendenquittungen mehr ausstellen, auch Erbschaften und Schenkungen muss er nun versteuern. Kooperationen liegen auf Eis, weil die Partner die Gemeinnützigkeit zur Bedingung machen. "Gleichzeitig erleben wir aber auch eine Welle an Unterstützung", sagt Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann. "Auch von Leuten, die inhaltlich nicht in allem mit Attac übereinstimmen, das Urteil aber für falsch halten." Die Mitgliederzahlen wachsen, seit die Richter Attac ins Abseits stellten. "Finanziell sind wir nach wie vor handlungsfähig", sagt Handtmann. Nur würde man sich gerne auch wieder mit anderen Fragen befassen als mit dem Streit um die Gemeinnützigkeit.

Sollte die Organisation vor dem Finanzgericht verlieren, bliebe ihr nur der Gang nach Karlsruhe

Der aber wird weitergehen, denn Attac will weiter klagen. Der Bundesfinanzhof hatte die Entscheidung zurück ans Hessische Finanzgericht in Kassel gegeben, das ursprünglich - anders als das Finanzamt - die Gemeinnützigkeit bejaht hat. Sollte Attac dort abermals unterliegen, bliebe nur noch der Weg nach Karlsruhe, zum Bundesverfassungsgericht. "Wenn uns nichts anderes übrig bleibt, werden wir auch das machen."

Es geht längst nicht nur um Attac. Viele Vereine und Verbände sind in Aufruhr. "Ich habe mittlerweile bestimmt mit 20 Vereinen gesprochen, die sich Sorgen um ihre eigene Zukunft machen", sagt Stefan Diefenbach-Trommer von der "Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung". Ernsthaft diskutierten Vereine, ob sie Teile ihres Engagements einstellen sollen - um bloß nicht ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Rechtliche Klarheit könne letztlich nur eine Änderung von Gesetzen bringen. So ließe sich das Engagement für soziale Gerechtigkeit ausdrücklich zu einem förderungswürdigen Zweck erklären.

Bislang zählt der "Atlas der Zivilgesellschaft", den unter anderem "Brot für die Welt" jedes Jahr herausgibt, Deutschland zum kleinen Kreis der "offenen" Staaten. "Deutschland braucht eine lebendige Zivilgesellschaft", sagt Klaus Seitz, Leiter der Politikabteilung bei dem evangelischen Hilfswerk. "Aber wir fürchten, dass sie durch dieses Urteil eingeschränkt wird." So, wie es ihr zuletzt auch in Italien, Lettland und Österreich ergangen sei.

© SZ vom 07.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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