Ziviler Widerstand:Spaziergang am Sonntag

Lesezeit: 1 min

Ein Buch zum Zusammenhang von Demokratie und Engagement, in dem über die Geschichte des Widerstandes und zivilen Ungehorsams informiert wird.

Von Fritz Göttler

Nach dem 644. Kranich kam der Tod für Sadako Sasaki, es war der 25. Oktober 1955. Acht Monate war sie im Krankenhaus gewesen, mit unheilbarer Leukämie - eine Spätfolge der Verstrahlung beim Abwurf der Atombombe auf Hiroshima - da war sie zweieinhalb, die Explosion schleuderte sie aus dem Haus, aber sie blieb dabei unverletzt. Wenn einer tausend Origami-Kraniche falte, heißt es in Japan, wo der Kranich ein heiliger Vogel ist, könne er wieder gesund werden. Nach ihrem Tod falteten Sadakos Freunde die restlichen Kraniche, eine Statue erinnert in Hiroshima an sie.

Sadako Sasaki steht im neuen Buch von Nina Horaczek und Sebastian Wiese in der Reihe jener Menschen, die sich "wehrten", in den letzten Jahrzehnten, neben Gandhi, Malala Yousafzai, Sophie Scholl, Rosa Parks, Martin Luther King, Greta Thunberg, Emma Gonzalez, Ruby Bridges, Ed Roberts. Ein Buch über den Widerstand in all seinen Formen, national und international, durch Gebrauch politischer Institutionen und Prozeduren, oder durch deren Provokation, bis hin zum zivilen Ungehorsam.

Der Untertitel bringt, gewissermaßen als die Vorstufe des Widerstands, den Begriff des Engagements ins Spiel, die Teilnahme am politischen Prozess, der in einer repräsentativen Demokratie wie der unsrigen sehr viel komplizierter, mühsamer, manchmal frustrierender sein mag als in den Gesellschaften einst in der Antike oder in der Schweiz heute. Bei uns gibt es also regelmäßig die Möglichkeit, an den Wahlen teilzunehmen, außerdem viele Formen von privatem Engagement in Vereinen, dazu Volksbegehren oder Streik. Die Minimalform des Engagements ist die Zivilcourage, das spontane, beherzte Eingreifen bei Unfällen oder Gewalt - das heute immer mehr durch die sensationsgeile Handy-Zuguckerei ersetzt wird. Die psychologischen Mitmachertests von Stanley Milgram und anderen erklären, wieso Zivilcourage oft so zögerlich funktioniert.

Ein großer Teil des Buches ist den manchmal jahrelangen Protestaktionen gewidmet, angefangen mit der Aktion auf der von den Briten besetzten Insel Helgoland Weihnachten 1950. Danach gab es die Friedensbewegung, Atommülldemos, aber auch den blutigen Terror der RAF und die Frage nach Widerstand und Gewalt, die Schwulen- und Lesbenbewegung, die Umweltaktionen (das Bienenvolksbegehren), "Fridays for Future", die neuen digitalen Protestformen, Hashtag und Shitstorm.

Es ist vollgepackt mit Informationen, aber ohne belehrenden Duktus, klingt manchmal gar ironisch: "Das Wahlrecht auszuüben ist nicht anstrengend. Der Aufwand beschränkt sich auf einen Sonnntagsspaziergang (zum Wahllokal) und ein Kreuz auf einem Stimmzettel (im Wahllokal)."

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: