Wutausbruch des Londoner Bürgermeisters:"Du bist ein verdammter Lügner"

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Ein verbaler Ausfall des amtierenden Bürgermeisters Johnson dominiert den Londoner Wahlkampf. Johnson und sein Herausforderer Livingstone bekämpfen sich mit allen Mitteln. In einer TV-Debatte trafen die Streithähne jetzt erneut aufeinander: Zeit für eine Entschuldigung? Weit gefehlt.

Mirjam Moll

Was würde diesmal passieren? Mit Spannung blickten die Londoner der TV-Debatte zur Bürgermeisterwahl entgegen. Beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Kandidaten erreichte der Wahlkampf den vorläufigen Höhepunkt an Gehässigkeit. In einem Aufzug. "Du bist ein verdammter Lügner", schleuderte der konservative Boris Johnson, seit 2008 Bürgermeister, seinem Rivalen Ken Livingstone von der Labour Party entgegen. Jetzt trafen die beiden Streithähne erneut aufeinander - bei der BBC2 TV-Debatte zur Bürgermeisterwahl.

Bei der letzten Wahl im Mai 2008 verlor Ken Livingstone (links) gegen seinen Kontrahenten Boris Johnson. Jetzt will er wieder gegen ihn antreten. (Foto: dpa)

Ein kurzer Rückblick. Zu dem Wutausbruch im Aufzug kam es nach einer Radiodebatte beim Londoner Sender LBC (zu sehen auf www.guardian.co.uk): Livingstone warf Johnson Steuerhinterziehung vor. Johnson ließe sich von einer selbst gegründeten Firma bezahlen. Paradox, hatte doch Livingstone selbst von sich reden gemacht, als ihm in seiner Zeit als Londoner Stadtoberhaupt (2000-2008) Amtsmissbrauch bei der Vergabe städtischer Finanzmittel vorgeworfen wurde. Scheinbar hatte auch Livingstone damals eine Firma gegründet. Jedenfalls wurde er in den letzten Wochen vermehrt mit dem Vorwurf konfrontiert, Steuern hinterzogen zu haben. In der Livesendung scheute sich Johnson deshalb nicht, Livingstone als Lügner zu bezeichnen - noch ohne ausschmückende Kraftausdrücke. Die folgten dann ohne Mikrofone und Kameras im Aufzug.

Seitdem beherrscht der verbale Schlagabtausch zwischen den Kandidaten den Wahlkampf. Auch in der TV-Debatte überschattete der Steuerstreit alles andere. Johnson wollte sich nicht bei Livingstone entschuldigen, schließlich sei der "ein verdammter Lügner", Johnson habe seine Steuern immer bezahlt. Doch auch Livingstone trug nichts zur Klärung seiner Steuerlage bei - stattdessen bezeichnete er Johnson als "Teilzeitbürgermeister" und kritisierte damit Johnsons Doppelrolle als Kolumnist des Daily Telegraph und Bürgermeister. Aber Livingstone habe doch auch geschrieben, erwiderte Johnson empört. Kurze Zeit hatte es den Anschein, als würden sich die beiden Männer am liebsten aufeinander stürzen und wie Schuljungen prügeln.

Vielleicht um das zu vermeiden, schlug Moderator Jeremy Paxman vor, dass alle Kandidaten ihre Einnahmen und Steuerabgaben offenlegen sollen. Johnson ließ sich dazu sogar überreden, mit einiger Überzeugungsarbeit. Danach wurde noch ein bisschen über die Gewaltausbrüche, die London letzten Sommer erfasst hatten, gestritten, über antisemtische Zwischenfälle und schließlich, Livingstones Lieblingsthema im Wahlkampf - über die öffentlichen Verkehrsmittel. Als Paxman Johnson nach dem Antistreikabkommen mit der U-Bahn-Gewerkschaft fragte, reagierte dieser gereizt und wies den Moderator darauf hin, dass es "nicht gut wäre, ihn so hochnäsig anzusehen".

Das unwürdige Schauspiel, das sich dem Londoner Zuschauer am gestrigen Abend bot, ist bezeichnend für den diesjährigen Wahlkampf in der englischen Hauptstadt. Ein Wahlkampf, der sich vor allem zwischen Johnson und Livingstone abspielt und von Seitenhieben und Schmutzkampagnen geprägt ist. Beide hatten sogar sogenannte "attack websites" gegen den anderen ins Netz gestellt. Johnson, der auch als Redakteur der britischen Zeitung Spectator tätig war, veröffentlichte auf "Not Ken Again" beispielsweise eine Liste aller vermeintlichen Lügen Livingstones.

Nach dem Eklat im Aufzug forderte Livingstone Johnson allerdings auf, gemeinsam mit ihm das Niveau im Wahlkampf anzuheben und seine "attack website" aus dem Netz zu nehmen. Auf seiner eigenen ( www.chickenfeed.org.uk) findet man nur noch ein Video. Man müsse sich im Wahlkampf darauf konzentrieren, mit welchem Kandidat London eine bessere Zukunft habe, erklärte Livingstone.

Bisher lag der amtierende Bürgermeister Johnson in den Umfragen vorne: Insgesamt glauben 49 Prozent der Befragten, dass Johnson London mehr Vorteile bringen würde, bliebe er im Amt, nur 31 Prozent stimmten für Livingstone. Der genießt bei den Bürgern dafür das größere Vertrauen: 49 Prozent finden, dass Livingstone die Bedürfnisse der Londoner besser kennt als Johnson (26 Prozent).

Nach den Auseinandersetzungen der letzten Tage könnte sich die Situation für den Labour-Kandidaten verbessern. Zumindest hat Livingstone bis jetzt keine Kraftausdrücke verwendet.

Worum es in den Wahlkampagnen eigentlich geht, ist aber längst zur Nebensache geworden. Am 19. April ist eine weiter TV-Debatte bei Sky TV geplant - und wer dann mit wem im Aufzug fahren will, wurde bei Moderator Paxton bereits geklärt: Livingstone würde lieber mit der Kandidatin der Grünen, Jenny Jones, fahren, Johnson wieder mit Livingstone - vielleicht, weil er im LBC Aufzug noch nicht alles gesagt hat.

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