WM 2006:Als aus Panzern Schmetterlinge wurden

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Der Fußball hat die Deutschen 2006 zu fröhlichen Patrioten gemacht. Nun wird sehr viel infrage gestellt.

Von Ralf Wiegand

Zehn Jahre wird es im Sommer her sein, dass sich die Welt über Deutschland wunderte. Über die Leichtigkeit dieses sonst mit sich so strengen Landes, über die Fröhlichkeit auf den Straßen und die Farben in den Gesichtern: Schwarz, Rot, Gold. Über die bedingungslose Gastfreundschaft, die friedlichen Massenversammlungen vor meterhohen Videowänden, über das stabile Sommerwetter vom ersten bis zum letzten Tag, von Flensburg bis Garmisch. Und über diese junge, bunte Fußballmannschaft, die leidenschaftlich und technisch versiert wie einst nur Südeuropäer um jeden Sieg kämpfte.

Im Sommer vor zehn Jahren war Fußball-WM in Deutschland. Aus den Panzern, als die deutsche Kicker stets durch die ausländische Boulevard-Presse rollten, waren 2006 eine Art Schmetterlinge geworden. Aus den griesgrämigen Deutschen, die sich ihr Leben auf Pünktlichkeit trimmten und totorganisierten, war ein Volk fröhlicher, moderner Patrioten geworden. Dass sie sich überhaupt Patriotismus erlaubten, in Form von Außenspiegel-Überziehern und großer Zuneigung zu ihrer Mannschaft - das alles schien unglaublich wie ein Märchen. Das Sommermärchen.

DFB-Affäre
:"Mein Bild vom Sommermärchen hat keinen Schaden genommen"

Die Kanzlei Freshfields veröffentlicht den Bericht zur DFB-Affäre um die WM 2006. Wir haben Prominente und Experten dazu befragt - von Monica Lierhaus bis zu den Sportfreunden Stiller.

Knapp zehn Jahre danach beginnen die Geschichten über diese Zeit, wie alle Märchen beginnen: Es war einmal . . . Es war einmal die unbeschwerte Freude über ein einmalig gelungenes Fußballfest, denn die Sache hat einen Haken. Der Haken sind jene 6,7 Millionen Euro, über deren Verbleib und Verwendung recherchiert wird, seitdem der Spiegel im Oktober 2015 titelte: "Das zerstörte Sommermärchen".

Es steht der Verdacht im Raum, dass das Geld, das der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der Weltverband Fifa und Dritte wie der Unternehmer Robert Louis-Dreyfus hin und her schoben, zum Kauf von Stimmen verwendet wurde. Jene Stimmen, die Deutschland brauchte, um die WM 2006 zu bekommen, um also überhaupt erst ein Märchen schreiben zu können. Der Präsident des DFB, Wolfgang Niersbach, musste in der Affäre um die schwarze 6,7-Millionen-Kasse zurücktreten. Und Franz Beckenbauer, der bisher Allmächtige unter den Fußball-Weisen, musste auf beinahe bedauernswerte Weise seine Ahnungslosigkeit beteuern. Er, damals Chef-Organisator der WM 2006, habe halt alles blind unterschrieben.

An diesem Freitag veröffentlicht die Wirtschaftskanzlei Freshfields, die der DFB mit den Untersuchungen der Affäre beauftragt hat, die Ergebnisse ihrer Recherchen. Es wird dann wieder die Diskussion darüber anheben, ob das Sommermärchen denn überhaupt eines gewesen sein kann, wenn es gekauft gewesen sein sollte. Es ist eine ähnliche Diskussion wie am gedeckten Geburtstagstisch, an dem sich die Gäste über den leckeren Käsekuchen hermachen, alle das Rezept wissen wollen - und dann betreten schweigen, wenn sie erfahren: War von Aldi, Tiefkühltruhe.

Begeisterung auf der Berliner Partymeile 2006. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Hat es nicht trotzdem geschmeckt? War es nicht trotzdem das Sommermärchen? Das, was die Menschen in diesem Land aus der Weltmeisterschaft 2006 gemacht haben und damit auch aus sich, ist nachhaltig gewesen. Es war ein Fest, das gefeiert wurde, wie es fiel. Dass sich nun manche rückblickend die Freude an ihrer eigenen, ungekannten Leichtigkeit verbieten, könnte die Welt schon wieder wundern.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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