Wirtschaftliche Ungleichheit:Zwei Billionen sind nicht genug

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Der Osten Deutschlands hinkt weiter hinterher, der Aufholprozess ist praktisch zum Erliegen gekommen.

Von Constanze von Bullion

Man darf sich das Feiertagsprogramm auch als eine Art Forschungsreise zwischen West und Ost vorstellen. Denn wenn am 3. Oktober in Mainz der Tag der Deutschen Einheit gefeiert wird, dann sollen nicht nur Vertreter der 16 Bundesländer ihre Besucher auf eine kulinarische Reise von der Leipziger Lerche zum hessischen Äppelwoi mitnehmen. Es wird Theateraufführungen geben und eine Lichtshow zur Geschichte von Rheinland-Pfalz. Die Mainzer Greeter, benannt nach dem englischen to greet, also grüßen, sollen Gäste aus allen Landesteilen durch Mainz führen, um ihnen ihre Welt aus ihrer Perspektive zu erklären. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Dienstagmittag die Festrede zum Tag der Deutschen Einheit halten will, dürfte in seiner Ansprache das Zusammenwachsen von Ost und West in den Blick nehmen.

27 Jahre nach der deutschen Einheit und eine Woche nach der Bundestagswahl blicken Ost- und Westdeutsche so verständnislos aufeinander wie lange nicht mehr. In den neuen Ländern hat mehr als jeder fünfte Wahlberechtigte die AfD gewählt, in Sachsen wurde sie stärkste Partei. Zwischen Rostock und Zschopau gedeiht Missmut, viele Ostdeutsche fühlen sich vom Parteienstaat nicht genug vertreten. Im Westen des Landes wiederum ist vielen schleierhaft, was die Ostdeutschen eigentlich so aufbringt. Am Geld könne es ja wohl nicht liegen, ist gerade im wohlhabenden Südwesten der Bundesrepublik oft zu hören. Schließlich seien seit dem Mauerfall Milliarden gen Osten geflossen.

Richtig daran ist, dass seit 1989 um die zwei Billionen Euro in die neuen Bundesländer investiert wurden. Viele ostdeutschen Städte sind heute schmucker herausgeputzt als manche Westkommune. Die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland ist seit 2005 erheblich gesunken. Allerdings lag sie mit 7,1 Prozent im September 2017 immer noch deutlich über den 5,1 Prozent im Westen. Nach dem kürzlich veröffentlichten Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit liegt die Wirtschaftsleistung im Osten fast ein Drittel unter der des Westens, und der Aufholprozess ist quasi zum Stillstand gekommen.

Allen Versprechen zum Trotz hat kein westdeutscher Konzern seine Zentrale im Osten

Die Ursachen dafür sind vor allem in der kleinteiligen Struktur der ostdeutschen Wirtschaft zu suchen. Allen Wendeversprechen zum Trotz hat kein großer westdeutscher Konzern seine Zentrale - oder auch nur erhebliche Teile der Produktion - nach Ostdeutschland verlegt. Es gibt kein Dax-Unternehmen im Osten. Wer jung und gut qualifiziert sei, könne in den neuen Ländern dennoch Löhne auf Westniveau aushandeln, sagen Wirtschaftforscher. Das Problem ist nur: Junge, gut Ausgebildete und Frauen verlassen den Osten weiter. Und wer bleibt, muss zum Arbeitsplatz nicht selten weite Wege zurücklegen.

404 000 Arbeitnehmer, fast eine halbe Million, pendelten laut Bundesagentur im Jahr 2016 von Ost nach West und wieder zurück, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In umgekehrter Richtung, also von West nach Ost, mussten das nur 158 000 Menschen tun. Wer im Osten lebt, ist im Schnitt älter, hat oft einen niedrigeren Lebensstandard und verdient weniger. Nach dem Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit lag das verfügbare Jahreseinkommen je Einwohner 2015 im Westen bei 22 312 Euro, im Osten dagegen bei 18 465 Euro.

In den neuen Ländern fallen auch Erbschaften erheblich kleiner aus. Nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums wurden 2014 in Bayern pro Kopf und Jahr 107 Euro an Erbschaftsteuer gezahlt, in Hamburg waren es 167 Euro. In Sachsen beliefen sich die Erbschaftsteuern pro Kopf und Jahr dagegen nur auf knapp acht Euro, in Thüringen sogar nur auch 5,5 Euro.

Ostdeutsche schaffen es deutlich seltener als Westdeutsche, in Bundesministerien Karriere zu machen. Nach Auskunft der Bundesregierung gab es in elf der 14 Bundesministerien bis zuletzt keinen einzigen Abteilungsleiter, der in Ostdeutschland geboren wurde. Und auch die Angst vor Altersarmut drückt östlich der Elbe stärker als im Westen. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass in den Jahren 2031 bis 2036 mehr als jeder zehnte Ostdeutsche Anspruch auf die Grundsicherung haben wird. Das Risiko, von staatlicher Mindesthilfe leben zu müssen, wird sich im Osten verdoppeln.

Doch es hat auch Vorteile, in Ostdeutschland zu leben. Die Mieten sind im Schnitt deutlich günstiger als im Westen. Ein Quadratmeter Bauland kostet in Mecklenburg-Vorpommern nur ein Fünftel von dem in Bayern. Wer in Sachsen-Anhalt bauen will, zahlt pro Quadratmeter mehr als ein Sechstel weniger als Häuslebauer in Baden-Württemberg. Im Osten leben auch mehr Studenten. Betrachtet man die 18- bis 25-Jährigen, kamen im Jahr 2014 laut Statistischem Bundesamt auf hundert Einwohner im Osten 51 Studenten, im Westen nur 42. Hierbei dürfte auch Berlin eine Rolle spielen.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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