Philip Murphy hat derzeit nicht den angenehmsten Job. Der US-Botschafter in Berlin hat viele der Depeschen unterzeichnet, die für deutsche Politiker wenig schmeichelhaft ausfallen. Eine Entschuldigung lehnt Murphy jedoch ab: "Das Schreiben der Berichte gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben", sagte er dem Spiegel. Murphy findet, er und seine Mitarbeiter hätten nur ihre Jobs gemacht.
Es ist die Aufgabe eines Diplomaten, stets die Etikette zu wahren, sich dem Protokoll zu unterwerfen und seinem Gastgeber in jeder Lage die größte Wertschätzung zu erbieten. Sich also diplomatisch zu verhalten. So macht er sich bei ausländischen Staatsmännern beliebt, was für seinen Job äußerst wichtig ist. Wenn er jedoch mit seinen Vorgesetzten in der Heimat kommuniziert, ist zu viel Höflichkeit fehl am Platze.
Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente zeugen davon, wie ungeschminkt amerikanische Diplomaten über die Lage in ihrem jeweiligen Land Bericht erstatten. Bundesaußenminister Westerwelle? Ein aggressiver, inkompetenter Außenpolitik-Neuling. Kanzlerin Merkel? Unkreativ, nicht zum Risiko bereit.
Viele solcher Aussagen entstehen unter dem Eindruck der täglichen Presseschau der Botschaften. So bezeichnete die Süddeutsche Zeitung Angela Merkel am 24. August 2009 als "Teflon-Kanzlerin", weil im Bundestagswahlkampf alle Angriffe der SPD an ihr abglitten. Wenige Tage später, am 9. September 2009, wurde die Kanzlerin in einer von US-Botschafter Murphy unterschriebenen Depesche als "Angela 'Teflon' Merkel" bezeichnet.
Das Leitartikel-Wissen verbindet der Diplomat mit Informationen aus Gesprächen, die er mit seinen Quellen führt. Das können Regierungsbeamte sein oder auch willige Parteigänger - wie jener anonyme FDP-Mann, der Murphy während der Koalitionsverhandlungen 2009 auf dem Laufenden gehalten haben soll.
Auch sind Spionage und Diplomatie eng miteinander verwandt - Botschaften sind traditionell ein Ort, an dem Geheimdienstinformationen zusammenlaufen. "Auf Fragen zu geheimdienstlichen Tätigkeiten antworte ich nicht", sagte Murphy dem Spiegel.
Wenn Presseberichte, subjektive Einschätzungen und geheimnisvolle Quellen zusammenkommen, ist das Ergebnis nicht selten eines, das allenfalls zur Beratung hinzugezogen werden kann. "Gefährliches Geschwätz" nennt das die Süddeutsche Zeitung.
Umso mehr ärgert sich die US-Regierung darüber, dass die Medienpartner von Wikileaks - der Spiegel, die New York Times, der Londoner Guardian, Le Monde aus Paris und El País aus Madrid - teilweise so tun, als hätten sie die offizielle Meinung der USA zur Außenpolitik aufgetan. Der Spiegel titelt beispielsweise: "Enthüllt - Wie Amerika die Welt sieht."
Dass es die eine, allumfassende Weltsicht der USA ohnehin nicht gibt und die Geheimpapiere größtenteils Einzelmeinungen darstellen, geht dabei unter. Der erboste US-Botschafter Murphy in Berlin drückt es so aus: Wikileaks habe Dokumente veröffentlicht, die "die der Welt keinen Gewinn liefern, aber dafür erheblichen politischen und persönlichen Schaden anrichten".