Weltstrafgericht:Empörung über US-Sanktionen

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Die USA gehen gegen den Internationalen Strafgerichtshof vor, Staaten weltweit und vor allem auch Den Haager Juristen sind verärgert. Mancher Richter fühlt sich gar mit al-Qaida auf eine Stufe gestellt.

Von Ronen Steinke, Berlin

Die jüngst vom amerikanischen Außenminister Mike Pompeo verkündeten US-Sanktionen gegen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag haben am Mittwoch eine Gegenreaktion von 67 Staaten ausgelöst. Fast alle europäischen und viele afrikanische und lateinamerikanische Staaten veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, sie seien "unbeeindruckt durch jegliche Drohungen gegen das Gericht oder seine Mitarbeiter" und hielten an der Geltung des Völkerstrafrechts und dem Respekt vor der Unabhängigkeit des 2002 geschaffenen Strafgerichtshofs fest. "Die amerikanische Regierung hat den Internationalen Strafgerichtshof praktisch mit al-Qaida auf eine Stufe gestellt", sagte der ehemalige deutsche Richter am UN-Jugoslawientribunal, Christoph Flügge, der Süddeutschen Zeitung. Denn nicht nur Mitarbeiter des Gerichts sind von dem Erlass von Präsident Donald Trump vom 11. Juni betroffen. Auch ihre Familienangehörigen laufen Gefahr, dass ihre Vermögen entzogen und ihre Konten eingefroren werden.

Zwar sind die USA nie Mitglied des Weltstrafgerichts gewesen. Dennoch ist New York bislang ein wichtiger zweiter Standort der Weltjustiz gewesen, dort traf sich jeden Sommer die Versammlung der Mitgliedstaaten mit Richterinnen und Richtern aus Den Haag. Dies erscheint den Juristen nunmehr als zu riskant. Wichtiger noch ist, dass auch Staaten zum Beispiel in Europa befürchten müssen, von den US-Sanktionen getroffen zu werden, sobald sie dem Gerichtshof bei dessen Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord helfen und damit aus Sicht der USA zu "Unterstützern" werden. "Das beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit der internationalen Justiz massiv", sagte Richter Flügge. Der Gerichtshof hat keine eigenen Polizeibefugnisse und ist auf praktische Unterstützung angewiesen.

Interessant ist deshalb auch, welche Staaten sich an der Solidaritätserklärung vom Mittwoch nicht beteiligen wollten. Aus dem Kreis der EU sind Polen und Ungarn ferngeblieben, obwohl sie zu den Mitgliedstaaten des Gerichtshofs gehören. Auf ihrem Gebiet standen US-Foltergefängnisse, sogenannte "black sites", mit denen sich die Haager Ermittler derzeit im Kontext einer Vorermittlung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen des sogenannten Kriegs gegen den Terror beschäftigen. Dies hatte große Sorge der amerikanischen Regierung ausgelöst. Bis heute haben sich 123 Staaten der Rechtsprechung des Strafgerichtshofs unterworfen. Neben den USA sind aber weitere sehr bevölkerungsreiche Staaten ablehnend geblieben, so insbesondere China, Russland und Indien.

© SZ vom 25.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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