Weltordnung im Wandel:China - eine Supermacht neuen Typs

Lesezeit: 3 min

China wird zu einer beherrschenden globalen Macht des 21. Jahrhunderts. Doch das Land wird die Welt ganz anders prägen als früher die USA, die Sowjetunion und die Europäer.

Joschka Fischer

Wer die schnelle und erfolgreiche Entwicklung der Volksrepublik China in den vergangenen zwanzig Jahren zum Maßstab nimmt, der kann, gerade auch trotz der gewaltigen Probleme, vor denen diese uralte Zivilisation mit seiner riesigen Bevölkerung heute steht, keinen Zweifel haben: China wird zu einer der beherrschenden globalen Mächte des 21. Jahrhunderts. Vielleicht sogar zu der Weltmacht.

US-Präsident Obama trifft Chinas Premier Wen 2009 in Peking. China steigt zur globalen Macht auf - aber nach einem anderen Muster als die USA oder die Sowjetunion. (Foto: Reuters)

Freilich wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass das Wiederauftauchen von so genannten "XXL-Mächten" wie China und Indien auf der globalen Ebene einfach eine Fortschreibung der westlichen Tradition mit sich bringen wird. Wir werden es mit anderen Supermächten zu tun bekommen.

Seitdem europäische Mächte Ende des 15. Jahrhunderts die Segel gesetzt hatten, um die Welt zu erobern, hat man sich in der Geschichtsschreibung wie in der internationalen Politik an ein bestimmtes Muster gewöhnt: Militärische, wirtschaftliche, technologische Macht wird in außenpolitische Einflussnahme, Eroberungen, ja globale Dominanz und Imperien umgesetzt. Dies galt sogar mehr denn je, als im 20. Jahrhundert die europäischen Weltmächte im Gefolge zweier Weltkriege von den USA und der Sowjetunion auf der globalen Bühne abgelöst wurden. Der Kalte Krieg und schließlich, nach 1989/90, die alleinige globale Dominanz der USA folgten weiter entschlossen diesem Modell.

Wird also der Aufstieg Chinas zu einer globalen Macht demselben Muster folgen? Ich glaube nein, und zwar aus einem bereits heute in der chinesischen Politik feststellbaren Grund. Die ganz andere Größenordnung wird den entscheidenden Unterschied ausmachen. Denn China mit seinen 1,2 Milliarden Menschen setzt jedes politische Herrschaftssystem und dessen Entscheidungsträger unter den Druck einer strukturellen inneren Überdehnung. Dies gilt verschärft vor allem in Zeiten rascher und grundsätzlicher Veränderungen, wie das heute in China der Fall ist.

Diese Gefahr einer permanenten strukturellen inneren Überdehnung wird daher eine außenpolitische imperiale Rolle kaum zulassen. Daher wird es nicht zu einer Ablösung der heutigen Vormacht USA kommen, solange diese Vereinigten Staaten nicht aus innerer Erschöpfung heraus diese Rolle aufgeben. Diese schlicht klingende Tatsache wird allerdings weitgehende Folgen für das internationale politische System im 21. Jahrhundert haben.

Die zentralen Interessen der chinesischen Politik sind die innere Modernisierung des Landes, die politische Stabilität und der Erhalt des Regimes sowie die Einheit des Landes (unter Einschluss Taiwans). Diese Interessen werden sich langfristig kaum ändern. China wird daher vor allem eine nach innen gewandte Supermacht werden, die allerdings gerade wegen dieser Perspektive ihre außenpolitischen Interessen völlig unsentimental verfolgen wird. Militärisch wird sich China vor allem auf seine regionale Vorherrschaft ausrichten, weil davon die Einheit des Landes abhängt (ebenfalls unter Einschluss Taiwans). Ansonsten aber wird die ökonomische und soziale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft die alles überragende Rolle spielen, denn davon hängt die Stabilität des Systems ab.

Für die chinesische Führung heißt dies aber, dass ein Wirtschaftswachstum um die zehn Prozent pro Jahr noch auf längere Zeit unverzichtbar ist, wenn die schnelle und fundamentale Transformation des Landes von einer überwiegend agrarisch bestimmten Gesellschaft hin zu einer hochmodernen Industriegesellschaft das politische System nicht destabilisieren soll. Diese innere Wachstumsorientierung aber hat massive innen- wie außenpolitische Konsequenzen.

Innenpolitisch wird China aufgrund seiner Größe und seines notwendigen Wachstums die erste Volkswirtschaft sein, die zu einer "grünen" Volkswirtschaft gezwungen sein wird. Andernfalls würden für China die "Grenzen des Wachstums" mit fatalen ökologischen und dann auch politischen Konsequenzen sehr schnell erreicht sein. Und da China der entscheidende Markt der Zukunft ist, wird es auch die Standards auf dem Globus entscheidend definieren.

Ein Beispiel: Der Übergang von der traditionellen Automobilität zur Elektromobilität wird, ganz entgegen der europäischen Illusionen, nicht mehr im Westen entschieden, sondern in China!

Für den Westen und dessen global dominierende Automobilindustrie bleibt lediglich die Frage zu beantworten, ob man sich dieser Entwicklung anpasst und eine Überlebenschance haben wird - oder aber ob man das Schicksal anderer alter Industrien des Westens teilen und langfristig untergehen wird.

Außenpolitisch wird China versuchen, seine innere Transformation durch Sicherung von Ressourcen und offene Marktzugänge abzusichern. Früher oder später aber wird man in Peking erkennen, dass die USA und deren Rolle als globaler Ordnungsfaktor für vitale außenpolitische Interessen des Landes unverzichtbar sein werden: erstens, da China aus den angeführten Gründen diese Rolle nicht übernehmen kann, zweitens, da andere globale Akteure nicht zur Verfügung stehen und deshalb als Alternative zu den USA nur ein Verlust an globaler Ordnung drohen würde. Eine solche Entwicklung wäre nicht im chinesischen Interesse.

Dieses amerikanisch-chinesische Duett wird alles andere als harmonisch verlaufen. Es wird Krisen, ja Phasen ernsthafter wirtschaftlicher und politischer Konfrontation alles andere als ausschließen, wie sie sich gerade jetzt im bilateralen Handel zwischen den beiden Mächten abzeichnet. Strategisch aber werden China und die USA auf lange Zeit voneinander abhängen und deshalb aufeinander angewiesen sein. Diese gegenseitige Abhängigkeit aber wird sich früher oder später auch politisch ausformen; wahrscheinlich zum Leidwesen aller anderen internationalen Akteure, und hier vor allem der Europäer.

Nur Europa hätte das Potential, diesem objektiven Zwang zu "G2" eine andere Richtung zu geben, wenn es als ernsthafter globaler Akteur auf der Weltbühne präsent wäre und dort für seine Interessen eintreten würde. Und beide G-2-Partner wären vermutlich sogar froh darüber. Aber dazu ist Europa leider zu schwach und zu uneinig. Und seine Führung verfolgt keine gemeinsame Politik, welche die strategischen Interessen der Europäer zur Grundlage hätte.

© SZ vom 06.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: