Weißrussland:Lukaschenko zum Fünften

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Open-Air-Wahl: Eine Weißrussin in einem Dorf bei Minsk wirft ihren Stimmzettel in die Box. (Foto: Vladimir Nikolsky/Reuters)

Der autoritäre Präsident Lukaschenko steht vor einer weiteren Amtszeit. Noch nie hat die OSZE bisher eine Wahl als fair eingestuft, doch im Volk hat der Herrscher Rückhalt: Er verkörpert den starken Staat.

Von Julian Hans, Minsk

Am Vorabend der Wahl hatten einige Hundert Menschen in der weißrussischen Hauptstadt wenigstens noch einmal zeigen wollen, dass nicht alle mit der Dauerherrschaft von Alexander Lukaschenko einverstanden sind. Sie skandierten: "Es lebe Weißrussland!", einige schwenkten Europa-Fahnen. Die Polizei duldete den nicht genehmigten Protest. Doch dass Lukaschenko seine fünfte Amtszeit wird antreten können, war wohl auch den Demonstranten klar.

Knapp 80 Prozent der Stimmen hatte ihm die Wahlkommission 2010 zugeschrieben - ein Ergebnis, das den am Sonntagabend verbreiteten Hochrechnungen zufolge nun sogar gesteigert wurde, auf bis zu 84 Prozent. Seitdem das Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern 1991 unabhängig wurde, hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) noch keine Wahl als fair und demokratisch eingestuft. Sorgen bereitete Wahlbeobachtern auch in diesem Jahr, dass nach Behördenangaben von Dienstag bis Samstag schon etwa 30 Prozent der Wähler ihre Stimmen vorzeitig abgaben. Die vorzeitige Wahl gilt als anfällig für Manipulationen. Häufig gehen Belegschaften von Staatsbetrieben gemeinsam an die Urnen.

Tatjana Korotkewitsch, 38, Kandidatin einer neuen "konstruktiven Opposition", hatte schon vor der Abstimmung angekündigt, Hinweise auf Fälschungen vor Gericht zu bringen. "Ich werde die Stimmen meiner Wähler über den offiziellen Weg verteidigen", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. "Danach beginnen wir mit der nächsten Kampagne zur Parlamentswahl." Zum Protest auf die Straße rufen will sie die Menschen nicht. "Der wichtigste Protest ist, wenn viele Menschen ihn mit ihrer Stimme an der Urne ausdrücken. Was auch immer hinterher verkündet wird, zählen werden sie diese Stimmen auf jeden Fall", sagte sie.

Nach Protesten am Abend der Präsidentenwahl 2010 hatte die Polizei viele Menschen verhaftet, darunter auch Gegenkandidaten Lukaschenkos. Als Reaktion setzte die EU gelockerte Sanktionen gegen Lukaschenko und etwa 140 Vertreter seines Regimes wieder in Kraft. Nach diesem Rückschlag sei es schwer gewesen, die Menschen erneut zu mobilisieren, sagt Korotkewitsch: "Für mich war es das Wichtigste, die Idee friedlicher Veränderungen bekannt zu machen." Nach den Ereignissen auf dem Kiewer Maidan hatten auch viele Weißrussen den Eindruck, es gebe nur die Wahl zwischen Diktatur und Chaos.

Das Land ist auf Milliarden-Hilfe angewiesen. Mal kommt sie aus Moskau, mal aus dem Westen

Der 61 Jahre alte Lukaschenko regiert die Ex-Sowjetrepublik zwischen Polen, der Ukraine, Russland und dem Baltikum seit 1994. In Politik und Wirtschaft hat der Staat das sowjetische System zu großen Teilen bewahrt. Mehr als zwei Drittel der Menschen sind bei Staatsunternehmen beschäftigt. Weil diese größtenteils nicht rentabel arbeiten, ist das Land jedes Jahr auf Zuschüsse von mehreren Milliarden Dollar angewiesen. Diese kommen mal durch großzügige Ölgeschäfte aus Moskau, mal durch Kredite aus dem Westen.

Dass der einstige Vorsitzende einer Kolchose und sein Volk seit mehr als zwei Jahrzehnten unzertrennlich seien, liege daran, dass sie die gleichen Werte teilten, glaubt der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch, der eine Biografie über Lukaschenko geschrieben hat. Die Menschen wünschten sich, dass der Staat die Verantwortung für ihr Schicksal übernimmt, erklärt er. "Es soll einen Batka geben, einen Vater der Nation." Da die weißrussische Identität so schwach sei wie die Zivilgesellschaft, halte nur der Staat die Gesellschaft zusammen. Unter dem Eindruck der Ereignisse in der Ukraine fürchteten die Menschen einen schwachen Staat mehr denn je - "und Lukaschenko verkörpert den starken Staat".

"In der Erinnerung der Weißrussen waren die letzten Jahrzehnte der Sowjetunion eine sehr gute Zeit", sagt Karbalewitsch. Während die Breschnew-Jahre anderswo in der Sowjetunion als Stagnation empfunden wurden, erlebten viele Menschen in der Belorussischen SSR sie als goldenes Zeitalter. Die Wirkung der späten Industrialisierung des Landes setzte gerade ein; viele zogen vom Land in die Stadt und erlebten das als sozialen Aufstieg. "Als Gorbatschow kam und sagte, das Land steckt in der Krise, wir brauchen Veränderung und Beschleunigung, haben die Weißrussen ihn nicht verstanden", sagt Karbalewitsch. Weißrussland wurde zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Perestroika.

Als die Sowjetunion zerbrach, feierten die Balten ihre Unabhängigkeit. Lukaschenko aber versprach, Russland mit Weißrussland wieder zu einem Staat zu machen. Lukaschenko hoffte wohl, einst an der Spitze eines vereinten weißrussisch-russischen Staates zu stehen, und bot sich dem kranken Boris Jelzin als Vizepräsident an. Doch die Hoffnung starb mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin 1999, sagt Karbalewitsch. "Erst als Lukaschenko verstand, dass er gegen den keine Chance hat, begann eine Kampagne zur Stärkung der weißrussischen Unabhängigkeit."

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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