Wehrpflicht und Bundeswehr:Vom Geist einer Armee

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Die Bundeswehr als Armee von Wehrpflichtigen hat sich überlebt. Den Staatsbürger in Uniform wird man aber auch in einer Freiwilligen-Armee finden können.

Kurt Kister

Wer sich in der Bundesrepublik kritisch mit der Wehrpflicht auseinandersetzt, bekommt gerne jenen Satz entgegengehalten, den der erste Bundespräsident Theodor Heuss 1949 aussprach: "Die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie." Schon die Jahreszahl zeigt dem halbwegs Kundigen, dass Heuss nicht über die Bundeswehr des Nachkriegsdeutschlands redete - die sogenannte Wiederbewaffnung begann deutlich später, die ersten Wehrpflichtigen rückten dann 1957 ein.

Das Konzept der Massenarmee hat sich überlebt: Rekruten der Bundeswehr beim Gelöbnis am 30. Juli. (Foto: dpa)

Der Bildungsbürger Heuss, in mancherlei Hinsicht ein Mann des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dachte wohl an die frühe Phase der französischen Revolution mit der levée en masse, als der Staat der citoyens mit einer Wehrpflichtarmee, einer echten Bürgerwehr, gegen die Söldnerheere der Feudalstaaten antrat. Von ähnlichem Geist waren später die preußischen Armeereformer um Scharnhorst beseelt, als sie jeden Bürger zum geborenen Verteidiger des Staates erklärten.

Abgesehen von solchen relativ kurzen Phasen aber war die Wehrpflicht nichts anderes als der Versuch des Staates, eine möglichst große Armee aufzustellen und für den Fall des Falles auf viele ausgebildete Reservisten zurückgreifen zu können. Napoleons Welteroberungsheer bestand genauso aus Wehrpflichtigen wie die Armeen Hitlers, Mussolinis und Stalins. Die Wehrpflicht ist lediglich eine von mehreren möglichen Organisationsformen einer Armee. Sie hat keinen ihr eigenen politischen, gar moralischen Charakter. Eine Wehrpflichtarmee ist so gut oder so böse wie der Zweck, für den sie bereitgehalten oder eingesetzt wird.

In der Bundesrepublik entschied sich die Regierung Adenauer in erster Linie für die Wehrpflicht, weil die Westalliierten binnen möglichst kurzer Zeit westdeutsche Streitkräfte mit einer Truppenstärke von einer halben Million Mann haben wollten. Diese Vorgabe der US-dominierten Nato war kurzfristig nur mit einer Wehrpflicht-Armee zu erfüllen. Geplant wurden Aufbau, Aufwuchs und Struktur der Bundeswehr von Stabsoffizieren und Generalen a. D., die bereits mit der Wehrmacht gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten.

Um nicht auch noch den Geist dieser alten Armee in der Bundeswehr einziehen zu lassen, versuchte eine Gruppe von Reformern um den Grafen Baudissin, der Armee einen demokratieverträglichen Überbau zu geben. Stichworte waren "Innere Führung", die den mitdenkenden, selbstbewussten Soldaten formen sollte, sowie "Staatsbürger in Uniform" als das Leitbild von Offizieren und Unteroffizieren, die nicht dem Kriegshandwerk, sondern den Werten des Grundgesetzes verhaftet sein sollten. Ganz generell gesagt tat sich die Bundeswehr vor allem in den ersten zehn Jahren ihrer Existenz mit der Einführung neuer Waffensysteme leichter als mit der Annahme der Prinzipien der Inneren Führung.

Der "Barras" als lästige Pflicht

Über Jahrzehnte hinweg war die Wehrpflicht weder aus sicherheitspolitischen noch aus gesellschaftlichen Gründen sehr umstritten. Jedoch genoss die Bundeswehr jenseits eines gewissen Respekts in Westdeutschland nie wirklich Akzeptanz. Bis weit in die achtziger Jahre wurde der "Barras" überwiegend als lästige Pflicht empfunden; seit den Siebzigern stieg die Anzahl der Wehrdienstverweigerer stark an. Die Westdeutschen waren keine geborenen Verteidiger ihres Staates, sondern eher unwillige Gezogene mit starkem Hang zur Wochenendheimfahrt.

Mit dem Ableben des Warschauer Pakts hatte sich in den Neunzigern das Konzept der Massenarmee überlebt. Die Wehrpflicht wurde verkürzt, auf neun Monate, dann auf sechs. In dieser Form stellt die Minderheit der noch gezogenen Wehrpflichtigen eigentlich nur noch einen Rekrutierungspool für die Berufs- und Zeitsoldaten dar. Ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie dies Wehrpflicht-Befürworter gerne behaupten, ist die Armee ohnehin schon lange nicht mehr.

In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl der Eingezogenen kontinuierlich so stark zurückgegangen, dass längst nicht mehr junge Männer aus allen Schichten der Bevölkerung miteinander Dienst taten. Die Bundeswehr unterscheidet sich da wenig von Polizei oder Feuerwehr. Und das, was bis heute hoffentlich noch den Geist der Armee bestimmt, eben die Innere Führung und der Staatsbürger in Uniform, kann in einer Freiwilligen-Armee genauso gepflegt werden.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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