Die Missstände auf dem Schulschiff Gorch Fock und die Feldpost-Affäre sind noch gar nicht drin im aktuellen Wehrbericht - trotzdem fand der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus genügend Missstände für einen 70 Seiten langen Bericht. Heute stellte er diesen im Bundestag vor - die wichtigsten Inhalte des Wehrberichtes 2010 in Bildern.
Führungsverhalten Zu Königshaus' Hauptkritikpunkten gehört das Verhalten von Führungskräften der Bundeswehr. Insbesondere unerfahrenen Vorgesetzten fehle es an Gespür dafür, wann die Grenzen zum Dienstvergehen beziehungsweise zur Straftat überschritten seien, heißt es. Angeprangert werden rüde Umgangsformen, herabwürdigende Äußerungen bis hin zu körperlichen Misshandlungen. Die meisten Fälle seien allerdings nicht strafrechtlich relevant, sondern gehörten in die Rubrik "Das tut man einfach nicht", so Königshaus. Im Bild: Die Edelweiß-Kaserne im oberbayrischen Mittenwald, aus der Exzesse außerhalb der regulären Ausbildung bekannt wurden.
Übermäßiger Alkoholkonsum Die meisten dieser Verstöße ereignen sich angeblich unter massivem Alkoholeinfluss - wie beim Skandal um die Gebirgsjäger aus Mittenwald. Die grausamen Aufnahmerituale beim Hochgebirgsjägerzug in der Edelweiß-Kaserne in Mittenwald kamen im Frühjahr 2010, noch während der Amtszeit von Königshaus' Vorgänger Reinhold Robbe, ans Licht. Um als vollwertiges Mitglied des sogenannten Hochzugs zu gelten, mussten Soldaten dort ekelhafte Aufgaben erfüllen - wie zum Beispiel rohe Schweineleber oder Rollmöpse mit Frischhefe essen, bis zum Erbrechen.
Mängel bei der Ausbildung Ein Manko ist dem Wehrbericht zufolge das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in der Ausbildung. Vor allem die Gefechtsausbildung komme zu kurz, heißt es. Die Unfälle beim Waffenreinigen, wobei erst kürzlich ein Soldat im Afghanistaneinsatz durch einen Schuss aus der Waffe eines Kameraden tödlich verunglückt ist, sieht Königshaus in diesem Zusammenhang. Ein weiteres Beispiel für Ausbildungsdefizite ist, dass es zu wenig Möglichkeiten für Flugstunden gebe. Auch bekämen Soldaten in der Grundausbildung nicht genug Schlaf. Wecken um 4:15 Uhr sei üblich - nach einem Zapfenstreich um 23 Uhr. Im Bild: eine Soldatin bei der Schießausbildung, Archivbild
Vereinbarkeit von Dienst und Familie Nicht jeder kann - und will - seine Frau einfach nach Afghanistan mitnehmen, wie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei seinem Truppenbesuch Ende 2010. Deswegen führen zahlreiche Bundeswehrangehörige Fern-Ehen, 70 Prozent aller Soldaten leben nicht an ihrem Dienstort, sondern pendeln. Der Wehrbericht schlägt deswegen vor, Soldaten, die Karriere machen wollen, nicht mehr zwingend alle zwei Jahre zu versetzen. Bei Kinderbetreuung und den Möglichkeiten für Teilzeit- und Telearbeit sieht Königshaus immensen Nachholbedarf bei der Truppe.
Wenig Urlaub für Wehrpflichtige Seit die Wehrpflicht im Juli 2010 verkürzt wurde, haben die Rekruten während ihres sechsmonatigen Grunddienstes nur noch genau sechs Tage regulären Urlaub. Nach der alten Urlaubsverordnung wären es noch 13 Tage gewesen. Die neue Regelung sei für die Soldaten nicht nachzuvollziehen, heißt es im Wehrbericht, zumal sich der Dienst nicht mit einer zivilen Anstellung vergleichen lasse: Dort gebe es zwar während der ersten sechs Monate oft gar keinen Urlaub, aber danach könne der volle Urlaub nachgeholt werden; außerdem sei ein ziviles Arbeitsverhältnis kein Pflichtdienst. Ändern lässt sich das wegen der Aussetzung der Wehrpflicht nicht mehr. Königshaus regt aber an, dass mit Anträgen auf Sonderurlaub aus persönlichen Gründen großzügig umgegangen werden sollte. Auch wenn Rekruten des letzten Jahrgangs Sonderurlaub benötigten, um eine Ausbildung rechtzeitig anzutreten, sollte sich der Dienstherr nach Ansicht des Wehrbeauftragten kulant zeigen - alles andere sei ungerecht. Im Bild: eine Demonstration auf dem Berliner Gendarmenmarkt gegen den Krieg in Jugoslawien, im Mai 1999
Mangelhafte Ausrüstung für die Auslandseinsätze Wenn ein Land Frauen und Männer in bewaffnete Konflikte schickt, sollte man meinen, dass sie entsprechend ausgerüstet werden. Schließlich stehen die Auslandseinsätze "im Zentrum des Auftrags und Einsatzes der Bundeswehr", wie es im Wehrbericht heißt. Und insbesondere in Afghanistan werden deutsche Soldaten "mehr denn je durch Sprengfallen und Selbstmordattentate, aber auch durch zunehmend militärisch organisierte Hinterhalte und Angriffe bedroht und nahezu täglich in Feuergefechte verwickelt". Viele Probleme sind jedoch noch immer nicht hinreichend gelöst, so der Wehrbeauftragte. Eines davon ist, dass die Vorbereitung der Auslandseinsätze zum großen Teil auf Fahrzeugen und mit Ausrüstungsgegenständen stattfindet, die von der Bundeswehr im Ausland dann gar nicht verwendet werden. Auch die persönliche Ausrüstung lässt offenbar noch immer zu wünschen übrig. Demnach mangelt es an Schutzbrillen, Nässeschutzausstattung und Schutzwesten. Das führt dazu, dass es "weiterhin üblich ist, sich Einsatzbekleidung und -ausrüstung in einer Größenordnung von 1000 Euro und mehr privat zu beschaffen".
Zu wenig geschützte Fahrzeuge in Afghanistan Kritisiert wird von den Soldaten, dass noch immer nicht genügend geschützte Fahrzeuge zur Verfügung stehen - und wenn vorhanden, aufgrund fehlender Ersatzteile häufig nicht einsatzfähig sind. Für diese Bereiche hat das Verteidigungsministerium zwar umfangreiche Beschaffungsmaßnahmen eingeleitet beziehungsweise angekündigt. "Die Verbesserungen kommen jedoch für die derzeit im Einsatz befindlichen Soldaten und teilweise auch für das Folgekontingent zu spät", kritisiert der Bericht. "Dabei sind die Defizite bereits seit Jahren bekannt." Im Bild: Ein Patrouillenfahrzeug vom Typ Dingo.
Einsatzdauer und Kommunikation mit der Heimat Viele Soldatinnen und Soldaten leiden dem Wehrbericht zufolge auch an einer "schleichenden Verlängerung der Einsatzdauer über vier Monate hinaus". Das führt nicht nur zu Planungsunsicherheit. Viele Betroffene klagen, schon nach der normalen Einsatzdauer "an ihrer physischen und psychischen Leistungsgrenze zu sein". Da ist es kein Wunder, dass offenbar aufgrund von Erschöpfung nach Gefechten die Zahl von Unfällen mit Waffen wächst. Gerade Ärzte, Heeresflieger, Drohnenbedienpersonal, Aufklärer, Kampfmittelbeseitiger und Marinesoldaten leiden unter einer besonders hohen Einsatzbelastung aufgrund von Personalmangel. Eine der häufigsten Klagen der Soldaten, die der Wehrbeauftragte zu hören bekam, betraf die unbefriedigenden Möglichkeiten, mit der Heimat, insbesondere mit der Familie, zu kommunizieren. Besonders frustrierend war dies angesichts der erheblich besseren Angebote für die Angehörigen verbündeter Streitkräfte. Im Bild: Bundeswehrsoldaten auf dem Rückflug nach dem Ende ihres Einsatzes in Afghanistan.
Posttraumatische Belastungsstörungen Immer mehr Soldaten kommen schwer traumatisiert aus dem Einsatz zurück, besonders aus Afghanistan. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der registrierten Fälle von sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) um 40 Prozent gestiegen. Laut dem Bericht liegt das jedoch nicht nur an den verschlimmerten Einsatzbedingungen, sondern auch an der gestiegenen Bereitschaft der Soldaten, über ihre Probleme zu sprechen. Die Betreuungs- und Behandlungsangebote seien jedoch noch nicht ausreichend, auch wenn der Wehrbeauftragte das Verteidigungsministerium für seine großen Anstrengungen in dieser Richtung lobt.
Personalmangel im Sanitätsdienst Mängel stellt Königshaus beim Sanitätsdienst fest: Sowohl für Auslandseinsätze als auch innerhalb von Deutschland fehle Personal, besonders in der Notfallmedizin. Durchschnittlich waren 13 Prozent der Stellen unbesetzt. Durch Urlaub, Elternzeit, Fortbildung und Ähnliches lag die Tagesantrittsstärke der Truppenärzte, also die tatsächlich verfügbare Zahl der Ärzte, bei kaum mehr als 40 Prozent der vorhandenen Posten. Zur Erfüllung der anfallenden Aufgaben wären 75 Prozent vorgesehen. Als Grund für den Personalmangel nennt Königshaus vor allem den verschärften Wettbewerb mit zivilen Arbeitgebern: Weil überall Ärzte und Pfleger fehlten, diese jedoch im zivilen Bereich besser bezahlt würden, sei die Bundeswehr als Arbeitgeber nicht attraktiv genug.
Dass die Beschwerden über den schlechten Zustand von Kasernen im vergangenen Jahr seltener geworden sind, ist dem seit 2007 laufenden Sonderprogramm "Sanierung Kasernen West" zu verdanken. Allerdings ist die weitere Finanzierung des Programms ungewiss: Auf Nachfrage habe das Verteidigungsministerium mehrfach mitgeteilt, dass Baumaßnahmen verschoben oder nicht mehr gesichert seien, heißt es im Wehrbericht. Die Unsicherheit darüber, was die neue Struktur der Bundeswehr als Freiwilligenarmee für die Kasernenstandorte bedeutet, habe in der Praxis zu einem Baustopp geführt, so dass einige Liegenschaften erneut zu verfallen drohten. Entsprechend dringlich sei ein abschließendes Konzept.