François Hollande hat die Franzosen gebeten, ihm eine solide Mehrheit im Parlament zu gewähren. Die Bürger haben ihn erhört. Sie drehten bereits im ersten Wahlgang die Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung um. Dort, wo bisher die Konservativen von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy dominierten, wird künftig die Linke herrschen.
Wenn sich der Trend bei der Stichwahl am kommenden Sonntag bestätigt, werden Hollandes Sozialisten sogar die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus bekommen. Der neue Staatschef braucht dann in den kommenden fünf Jahren weder Grüne noch Linksradikale zum Regieren. Das wäre für ihn eine perfekte Ausgangslage für seine Präsidentschaft.
Der klare Wahlausgang ist nicht nur für Hollande, sondern auch für Deutschland und ganz Europa erfreulich. Die EU benötigt einen innenpolitisch starken und damit außenpolitisch handlungsfähigen Präsidenten in Paris, um die kommenden schwierigen Zeiten zu überstehen. Vor allem braucht Europa einen Mann im Élysée, der sich nicht an linken Utopien, sondern an der Realität orientiert.
Der Sozialdemokrat Hollande ist ein solcher Mann. Nun bekommt er eine stabile parlamentarische Basis für eine pragmatische Politik der linken Mitte. Er ist nicht auf die Unterstützung der Populisten von der radikalen Linksfront angewiesen. Die französischen Wähler haben Augenmaß bewiesen.
Zugleich haben die Sozialisten keinen Grund, jetzt übermütig zu werden. Die Beteiligung an dieser Parlamentswahl war schwächer denn je. Das zeigt: Hollandes Wahl zum Präsidenten Anfang Mai hat keinen Enthusiasmus ausgelöst.
Als 1981 der Sozialist François Mitterrand an die Macht kam, war dies anders. Ein Epochenwechsel schien sich anzubahnen. Eine rosarote Welle erfasste damals das Land. Heute herrscht krisenbedingte Nüchternheit. Frankreich beobachtet die ersten Schritte Hollandes lediglich mit wohlwollender Distanz. Statt Euphorie überwiegt Skepsis.
Für Hollande kann das jedoch zum Vorteil werden: Er muss keine Wunder wirken. Die Bürger sind schon zufrieden, wenn er die Mühen der Ebene ordentlich bewältigt.
Hollandes größtes Problem wird es dabei werden, seine Wahlkampfversprechen einzulösen. Er kündigte einerseits eine teilweise Rückkehr zur Rente mit 60, Tausende neue Lehrerstellen sowie Zehntausende öffentlich geförderte Zukunftsjobs an und schürte so die Erwartung, der Staat könne seine traditionelle Rolle als patriarchalischer Rundumversorger der Bürger wieder einnehmen.
Andererseits sagte er zu, Schulden abzubauen und den Haushalt zu sanieren. Mehr ausgeben und sparen zugleich - wie passt das zusammen? Die Gefahr ist groß, dass die Antwort des neuen Präsidenten lautet: mehr Steuern und Abgaben.
Natürlich ist es für eine linke Regierung völlig legitim, das Steuersystem zu ändern und die Reicheren stärker zu belasten, um den Ärmeren zu helfen. Natürlich soll die Linke Ungerechtigkeiten ausgleichen, welche die Rechte womöglich geschaffen hat. Hollande sollte dabei aber bedenken, dass Frankreich bereits voriges Jahr die höchste Staatsquote aller 27 EU-Länder aufwies. Von jedem Euro, den das Land erwirtschaftet, beanspruchte der Staat 56 Cent. In Deutschland waren es "nur" 46 Cent.
Der übergewichtige französische Staat lastet auf den Unternehmen. Das schlägt sich auch in geringerer Wettbewerbsfähigkeit, in höherer Arbeitslosigkeit und einem großen Außenhandelsdefizit nieder. Wenn Hollande die französische Industrie wieder stärken und dauerhaft Arbeitsplätze schaffen will, wird er nicht um Einschnitte im Staatshaushalt und um Strukturreformen herumkommen, die andere EU-Staaten bereits bewältigt haben.
Eine solche Reformpolitik ist nicht populär in Frankreich. Doch der frisch gewählte Hollande hat mit seiner neuen Mehrheit in der Assemblée Nationale nun die Kraft, auch unpopuläre Wege zu gehen. Der Kassensturz, den der Rechnungshof in Paris gerade vollzieht, kann dem Präsidenten dabei helfen, die Bürger zu überzeugen, dass schmerzhafte Reformen notwendig sind.
Scheitert Hollande dabei, dürfte sich die wirtschaftliche Lage Frankreichs weiter verschlechtern. Dies könnte bei der Wahl 2017 weniger der bürgerlichen Opposition von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy als den radikalen Kräften zugutekommen. Schon heute erreicht der rechtsextreme Front National fast vierzehn Prozent der Stimmen. Die radikale Linksfront kommt auf sieben Prozent. Beide haben in der Krise Wachstumspotential.
Frankreich befindet sich seit nahezu einem Jahr im Dauerwahlkampf. Es beschäftigte sich erst mit der Vorwahl der Sozialisten, dann mit der Präsidentschaftswahl und zuletzt mit den Parlamentswahlen. Am kommenden Montag ist alles vorbei. Die Macht ist neu verteilt in Paris. Frankreich kann sich wieder mehr der Außenwelt zuwenden.
Zugleich wird am Montag das Ergebnis der Wahl in Griechenland vorliegen. Siegen dort die Radikalen, so bebt der ganze Euro-Raum. Paris und Berlin müssen dann sofort gemeinsam retten, was zu retten bleibt. Hollande kann dann zeigen, dass er so solide wie seine Mehrheit in der Nationalversammlung ist.