Snooker ist eine schizophrene Sportart, die es so nur in Großbritannien geben kann. Die Tische, auf denen diese Billard-Variante gespielt wird, sind so riesig, dass sie in keinen normalen Raum, sondern höchstens in einen Saal passen. Die Löcher dagegen sind so klein und eng geschnitten, dass sie sich den unwürdigen Avancen mittelmäßiger Spieler geradezu hochnäsig entziehen. Der Schiedsrichter trägt weiße Butler-Handschuhe und behandelt die Kugeln mit einer Sorgfalt, als handele es sich um Fabergé-Eier. Und für die Spieler herrscht Dresscode. Weste ist Pflicht, wer das Hemd nicht in die Hose steckt, riskiert saftige Strafen. Nur auf sehr liberalen Turnieren dürfen die Spieler die Fliege ausnahmsweise weg- und den obersten Hemdknopf offen lassen.
Diese Spieler aber, und das ist das Eigenartige an diesem Sport, sehen immer ein wenig verkleidet aus. Als säßen sie gerade lieber mit einem Pint in der Hand in einem verrauchten Pub, als im feinen Zwirn und mit würdevoller Miene um den großen Tisch herumzustreichen. Die meisten Snooker-Spieler sind, Weste hin oder her, alles andere als aristokratisch. Sie sind Arbeiterklasse - und das offenbar so glaubwürdig, dass ihr prominentester Vertreter, Ronnie O'Sullivan, jetzt Wahlwerbung für Ed Miliband macht.
Miliband nimmt sich eine Auszeit vom Wahlkampf? Eine glatte Lüge
Der Vorsitzende der Labour-Partei will am 7. Mai David Cameron als Premierminister ablösen, er erwartet "die engste Wahl seit einer Generation". Helfen bei dieser knappen Entscheidung soll ihm nun ein 90-Sekunden-Video, das Miliband und O'Sullivan im scheinbar vertrauten Billard-Duell zeigt. "Ed Miliband hat sich eine kleine Auszeit vom Wahlkampf genommen, um eine Runde Pool zu spielen", steht als Einleitung vor dem Clip. Das ist natürlich eine glatte Lüge.
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Miliband gilt vielen Briten als seltsamer, weltfremder Streber, der aussieht wie die Knetfigur Wallace. Als einer, der einen Rubik-Würfel in 90 Sekunden auflösen kann, aber wenig Verständnis für das Leben der normalen Briten hat. In seinen Auftritten kämpft er darum, dieses Image abzulegen, sich menschlicher, nahbarer zu zeigen. Vor diesem Hintergrund könnte es eine gute Idee sein, sich mit Ronnie O'Sullivan sehen zu lassen - mit jemandem, der viel allzu Menschliches erlebt hat.
O'Sullivan ist der Großmeister und das (stark an Mr. Bean erinnernde) Gesicht des Snooker. Die Sportart, in Deutschland fast unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, ist in Großbritannien Volkssport, zumindest was das Zusehen angeht. Die Einschaltquoten werden nur vom Fußball übertroffen, obwohl die Spiele sich über Stunden, manchmal Tage ziehen. Und obwohl das Spiel für Einsteiger nicht leicht zu durchschauen ist: eine weiße, 15 rote und sechs farbige Kugeln sind über den Tisch verteilt. Gelocht wird immer abwechselnd, Rot, Farbe, Rot, Farbe. Wenn das nicht geht, und das passiert oft, versuchen die Spieler, die Größe des Tisches auszuspielen und die weiße Kugel irgendwo in den entlegenen Regionen des Spielfelds zu verstecken.
Ronnie O'Sullivan macht das gar nicht gern, er versenkt die Kugeln aus jeder Ecke. Und weil er das schneller macht als jeder andere, nennen sie ihn "The Rocket", die Rakete. O'Sullivan hat fünf Weltmeisterschaften gewonnen und hält alle wichtigen Rekorde, die der Sport zu vergeben hat. Zur Freude der Zuschauer und zum oft nur halbherzig versteckten Ärger seiner Gegner wechselt er das Queue gerne mal während des Spiels von der rechten in die linke Hand.
Sein Vater verbrachte 18 Jahre im Gefängnis, seine Mutter einige Monate
Ronnie O'Sullivan hat eigentlich nur einen, wenngleich mächtigen Gegner: sich selbst. Er drohte, an seinem eigenen Talent zu zerbrechen. Er trank und rauchte Cannabis, immer wieder hatte er mit Depressionen und Selbstzweifeln zu kämpfen. Sein Vater, ein Sexshop-Besitzer, verbrachte 18 Jahre im Gefängnis, weil er einen Mann in einer Bar erstochen hatte. Seine Mutter saß ein paar Monate ein, weil sie Steuern hinterzogen hatte. Und O'Sullivan lieferte sich 2012 selbst in ein Londoner Krankenhaus ein, um von den Drogen loszukommen. Zu seinen Freunden zählt Ron Wood, Gitarrist der Rolling Stones. Und auch Ronnie O'Sullivan ist ein Rockstar - einer, der bei der Arbeit eine Fliege trägt.
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Erst in den vergangenen Jahren ist O'Sullivan ruhiger geworden. Er ist netter zu seinen Gegnern und netter zu sich selbst. Dass er jetzt als Wahlkampfhelfer für Ed Miliband auftritt - neben Schauspielern, Comedians, Fernsehstars - ist die kuriose Fortsetzung einer echt britischen Karriere.
"Ich bin Ronnie O'Sullivan, fünfmaliger Snooker-Weltmeister. Ich habe mich bisher nicht für Politik interessiert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass irgendein Politiker für mich spricht", sagt seine dünne Stimme aus dem Off, während er ein paar Kugeln mit Ed Miliband locht. "Aber nachdem ich Ed kennengelernt und mit ihm bei ein paar Spielen gequatscht habe, glaube ich: Er ist jemand, an den ich glauben kann. Ich ermutige jeden, am 7. Mai Labour zu wählen - und damit den besten Mann, um unser neuer Premierminister zu werden."
Ed Miliband, auch das hat Ronnie O'Sullivan noch verlauten lassen, sei ein "ziemlich brauchbarer" Spieler - man kann sich davon auch noch auf einem anderen Video überzeugen. Bleibt nur die Frage, warum die beiden nicht Snooker spielen, sondern Pool - dessen bescheidene kleine Schwester? Vielleicht liegt es eben doch daran, dass Pool die bodenständigeren Bilder produziert. Ronnie O'Sullivan trägt ein grau-blaues Poloshirt. Und Ed Miliband ein offenes Hemd. Ohne Fliege.