Wahlkampf im Internet:Kampa in der Pampa

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Mit Hilfe des Internets wurde US-Präsident Obama zur ersten politischen Ikone des 21. Jahrhunderts. Jetzt versuchen deutsche Parteien eifrig, es ihm nachzutun - der Erfolg lässt bislang auf sich warten.

Tobias Moorstedt

Winston Churchill, John F. Kennedy, Bill Clinton - jede Ära der Politik bringt ihre Ikonen hervor. Während Politikern jedoch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nur das Wort zur Verfügung stand, um sich in Zeitungen und im Radio zu verbreiten, wurde im Fernseh-Zeitalter das Image eines Politikers immer wichtiger.

SPD-Wahlkampfportal im Internet (Foto: Foto: dpa)

Plötzlich war es entscheidend, ob der Kandidat auch gut rasiert, frisiert, inszeniert wurde (Richard Nixon verlor 1960 die erste Live-Debatte der Medien-Geschichte auch wegen seines dunklen Bartschattens, der ihn in mehrfacher Hinsicht zum Steinzeitmenschen abstempelte). In den neunziger Jahren endlich erreichten die Werbeclips der Politik den Produktionsstandard eines Hollywood-Blockbusters - wer wird je die Special-Effects-Propaganda von George W. Bush vergessen, der 2003 im Piloten-Outfit auf einem Flugzeugträger landete?

Wenn das 21. Jahrhundert bislang eine politische Ikone hervor gebracht haben sollte, dann nicht durch ein Video, eine Rede oder eine Fotografie, sondern mit Hilfe eines flüchtigen, körperlosen Konstrukts. Es ist die Web-Community my.barackobama.com, mit welcher der neue US-Präsident das soziale und finanzielle Kapital für seinen Erfolg eingesammelt hat.

Nach Stimme und Gesicht wird nun der Raum zur entscheidenden Dimension der politischen Kommunikation. Erfolgreiche Web-Konzepte aus den USA werden seit langem in Deutschland nachgeahmt. Aus Ebay wurde Alando, aus Facebook StudiVZ, und auch die Politiker basteln eifrig an einer deutschen Version von my.barackobama.com; Me-Too-Produkt nennt man so etwas.

Bis auf die Linkspartei haben alle Parteien im Bundestag mittlerweile eine virtuelle Wahlkampfzentrale eröffnet: meinespd.de, teAM Deutschland (CDU) und die "Mit Mach Arena" (FDP) sind bereits seit einiger Zeit online, am Freitag stellten die Grünen die Seite "Meine Kampagne" ins Netz.

Sonnenblumen, grüne Punkte, blaue Striche - die Webseite "Meine Kampagne" ist auf den ersten Blick ganz ähnlich dekoriert wie die realen Mehrzweckhallen, in denen sonst die außerordentlichen Parteitage der Grünen stattfinden. Die Nutzer des Netzwerks haben dort ähnliche Freiheiten wie die Delegierten, können bestimmte Themen wie Frauenpolitik oder den "Green New Deal" mit ihrer Stimme unterstützen, was erst einmal keine weiteren Folgen hat, abgesehen davon, dass man künftig automatisch PR-Material zu diesen Politikfeldern geschickt bekommt.

Anfängerfehler bleiben nicht aus

Interessanter ist da schon die Funktion "Programmdiskussion", bei der man die Wahlaussagen der Partei kommentieren kann. Die Kampa-Communitys der anderen Parteien gehen einen Schritt weiter, hier können die Mitglieder und Sympathisanten ein Profil bilden und sich bestimmten Gruppen anschließen. Auf meinespd.de gibt es neben vielen Unterstützer-Gruppen für Direktkandidaten auch die virtuelle Version des "Seeheimer Kreises" - die größte Gruppe bei "teAM Deutschland" bildet die Junge Union.

Die deutsche Politik hat also den Boom von sozialen Netzwerke aufgegriffen und sich mit handelsüblicher Web 2.0-Software versorgt. Einige Anfängerfehler bleiben bei den Web-Experimenten der deutschen Politiker allerdings nicht aus. Die Internet-Suche nach "Team Deutschland" etwa führt nicht auf die Homepage der Union, sondern zur gleichnamigen Satiresendung des NDR. Auf teamdeutschland.tv ist eine Cartoon-Version der Kanzlerin zu sehen, deren Hosen in Flammen stehen.

Die Communitys sind ein angewandtes Seminar in Raumsoziologie, sie demonstrieren die Konstitution von Räumen durch die soziale Aktivität der Nutzer ebenso wie die Abhängigkeit des Verhaltens von vorgegebenen Strukturen.

Welche Freiheiten bieten die Polit-Portale ihren Nutzern? Ähneln sie eher einem Kino, in dem alle still in ihren Sesseln sitzen, und auf einen großen Bildschirm starren? Oder einem Sportplatz, auf dem nach bestimmten Regeln gespielt wird? Oder sind die Webseiten doch eher ein virtueller Park, in dem jeder spielen, essen oder flanieren kann?

Die eigentlichen Vorbilder der Politik-Portale sind Web-Phänomene wie Wikipedia, Google Earth oder die Open Source-Software Linux, bei der eine Vielzahl von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Zeitbudgets und Interessen zusammen und ohne zentrale Anleitung eine komplexe Aufgabe meistern.

Wie viel Liebe spürt man im Netz?

"Unsere sozialen Werkzeuge machen Liebe und Leidenschaft zu einem erneuerbaren Baumaterial", schreibt etwa der amerikanische Internet-Theoretiker Clay Shirky. "Wenn Leute sich für ein Thema interessieren, dann interessieren sie sich auch für ihre Gesinnungsgenossen, und können gemeinsam große und langlebige Dinge erreichen."

Wie viel Liebe spürt man im deutschen Netz? Die FDP illustriert ihren "Mit Mach"-Bereich ein wenig unglücklich mit dem Bild einer Fußballarena. Ein Stadion ist kein Raum zum Mit-Machen, sondern zum Hin-Sehen, die Rollen zwischen Spieler und Zuschauer sind hier klar verteilt. Die SPD bietet einen Bereich "Missionen" an, bei denen bestimmte Aufgaben vorgegeben werden, welche die Mitglieder erfüllen können. "Schreibe eine Email!", heißt es da.

Der Videospiel-Imperativ verströmt natürlich wenig basisdemokratisches Flair. Im Bereich "Werkstatt" können sich die SPD-Anhänger "interaktiv an der Meinungsbildung beteiligen". Die Thesen "Ganztagsschulen flächendeckend einführen" oder "Leistung muss sich lohnen, für alle" , die auf der Seite zu finden sind, wurden jedoch allesamt vom Parteivorstand ins Netz gestellt.

Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl gleicht der Spaziergang durch das politische Web dem Besuch einer Geisterstadt im Wilden Westen. Eine geringe Mitglieder-Zahl wäre nicht schlimm, wenn sich die vorhandenen Nutzer vernetzen würden. Die meisten Mitglieder-Profile wirken jedoch ungepflegt, zeigen kein Foto und weisen den Makel "Null Freunde" auf. Der deutsche Bürger hat die Transformation zum "Netizen" noch nicht abgeschlossen.

Das mag daran liegen, dass in Deutschland die Lebensläufe und DSL-Leitungen nicht ganz so verschlungen sind wie in anderen Hightech-Nationen. Oder daran, dass der techno-politische Bodensatz einer engagierten Blogosphäre trotz netzpolitik.org und carta.info hierzulande weiterhin fehlt (unter den Top-Ten der deutschen Politik-Blogs finden sich tatsächlich Seiten mit Namen wie StoiBär, Lummaland und Weissgarnix). Vielleicht sind die Amerikaner einfach besser für das Zeitalter der digitalen Demokratie gerüstet als die aufgeklärten Mittelschichts-Ironiker der BRD.

© SZ vom 21.03.2009/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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