Wahl-Patt:Trotzig im Abgang

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Für eine neue Regierung unter Benjamin Netanjahus Führung gibt es offenkundig keine Mehrheit. Bleibt die Frage, welche Allianz seine Gegner zustande bringen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Es war ein sichtlich wütender Benjamin Netanjahu, der in der Nacht zum Mittwoch um halb vier Uhr früh vor seine Anhänger trat. Als würde er die eintrudelnden Ergebnisse der Parlamentswahl nicht wahrhaben wollen, verkündete der Chef der rechtsnationalen Likud-Partei seine Botschaft mit geballter Faust. Er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer "starken Regierung" aufnehmen. Ziel sei es, eine "gefährliche, antizionistische Regierung" zu verhindern. Er trommelte am Mittwochnachmittag Vertreter der rechten und religiösen Parteien zusammen, um sich für die Koalitionsverhandlungen "zu koordinieren" und als ein Block aufzutreten.

Wirbt trotz des schlechten Ergebnisses noch immer für eine Regierung des rechten Lagers: Premierminister Benjamin Netanjahu am Wahlabend. (Foto: Ammar Awad/REUTERS)

Sein Herausforderer Benny Gantz vom blau-weißen Bündnis sprach sich noch in der Nacht für eine Einheitsregierung aus, wie die große Koalition in Israel genannt wird. In der Sicherheitspolitik gibt es zwischen Netanjahu und Gantz wenig Unterschiede. Gantz ist sogar für ein schärferes Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen. Als Netanjahu die Forderung nach Annexion des Jordantals erhob, warf ihm Gantz vor, seinen Vorschlag geklaut zu haben. Auffällig war, dass Gantz eine Forderung aus dem Wahlkampf nicht mehr erhob: nur in eine Regierung ohne Netanjahu einzutreten. Er hatte dies mit Korruptionsvorwürfen gegen Netanjahu begründet. Einen Fehler aus der Nacht der letzten Wahl im April wiederholte Gantz nicht, sich vorschnell zum Sieger auszurufen.

Liebermans Partei hat zugelegt - und bleibt bei ihrer Position

Am Mittwoch war wegen der noch andauernden Auszählung noch nicht klar, wer von den beiden am Ende Sieger der Parlamentswahl ist. Aber für den Politologen Emmanuel Navon vom Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit stand der Verlierer bereits nach Schließung der Wahllokale fest: "Netanjahu ist gescheitert, weil er weder eine rechte Regierung bilden kann noch den Abstand zu Blau-Weiß vergrößern konnte." Netanjahu wollte eine rechte Regierung bilden, die auch noch einen anderen Anspruch erfüllt: ein Immunitätsgesetz zu beschließen, das ihm den Gang vor Gericht erspart. In einer Einheitsregierung wird er diesen Plan nicht umsetzen können.

Nach dieser Wahl schrumpften die Chancen für eine neue Regierung Netanjahu sogar, denn der rechte Block konnte weniger Sitze auf sich vereinen als noch im April. Nicht mehr zum rechten Block gezählt wurde diesmal die nationalistische Partei Unser Haus Israel, obwohl sie inhaltlich zu diesem politischen Lager gerechnet wird. Aber Parteichef Avigdor Lieberman hatte nach der Wahl vor fünf Monaten Netanjahus Angebot, in die Koalition einzutreten, ausgeschlagen. Er begründete dies mit dem großen Einfluss religiöser Parteien und machte den Kampf dagegen zu seinem zentralen Wahlkampfthema. Mit Erfolg: Seine Partei, die bisher vor allem Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ansprach, zog auch liberale Wähler an und ging gestärkt aus der Abstimmung hervor.

Auch am Mittwoch blieb Lieberman dabei. "Es gibt nur eine einzige Option: eine nationale Einheitsregierung", sagte er. Für viele überraschend gab sich Lieberman staatsmännisch. Selbst wenn seine Partei nicht in diese Koalition aufgenommen werde, sei er für diese Regierung, weil sich das Land "in einer Notsituation" befinde. Am Vormittag listete der frühere Verteidigungsminister bereits Forderungen für einen Koalitionseintritt auf, wie die Einberufung Ultraorthodoxer zum Wehrdienst. Nach der Abfuhr von Lieberman schickte die Likud-Partei am Mittwochmorgen Emissäre Richtung Arbeitspartei aus, die sich die nächste Absage holten. Arbeitsparteichef Amir Peretz erklärte, nicht als Mehrheitsbeschaffer für eine rechte Regierung zur Verfügung zu stehen. Die Arbeitspartei war froh, wieder den Sprung ins Parlament geschafft zu haben und stärker als die linke Konkurrenz von der Demokratischen Union abzuschneiden.

Der frühere Premierminister Ehud Barak, der wieder in die Politik eingestiegen ist und gemeinsam mit Meretz die Demokratische Union gegründet hat, unterbreitete wiederum Benny Gantz einen Vorschlag. Er solle es doch mit einer Minderheitsregierung versuchen, sagte er. Dieser Koalition sollten nach Ansicht Baraks die linken Parteien sowie Liebermans nationalistische Unser Haus Israel angehören. Da diese Konstellation ohne Mehrheit ist, soll sie sich von den arabischen Parteien unterstützen lassen - ohne deren Gemeinsame Liste in die Regierung aufzunehmen.

Die wieder als Gemeinsame Liste angetretenen vier arabischen Parteien hatten deutlich zugelegt. Nach Einschätzung des Politologen Navon haben die Angriffe Netanjahus auf die arabischen Wähler zu einem Bumerangeffekt geführt. Sie haben arabische Wahlberechtigte mobilisiert, deren Wahlbeteiligung lag deutlich höher als im April. Nach Angaben ihres Spitzenkandidaten Ayman Odeh will die Gemeinsame Liste Gantz als Regierungschef vorschlagen. Ihr Wahlziel sehen sie als erfüllt an: "Netanjahu muss abtreten."

Ob es so weit kommt, hängt nun von Netanjahu selbst, seiner Likud-Partei und von Präsident Reuven Rivlin ab. Rivlin wird in den nächsten Tagen Gespräche mit Vertretern der Parteien führen. Dazu hat er bis zu zwei Wochen Zeit. Bisher wurde der Auftrag zur Regierungsbildung demjenigen gegeben, dessen Partei die Wahl gewonnen hat. Aber Rivlin könnte sich auch ein Beispiel an einem seiner Vorgänger, Chaim Herzog, nehmen. Als nach der Wahl im Jahr 1984 weder der Likud noch die Arbeitspartei eine Mehrheit hatten, gab Herzog sogar das Ziel vor: eine Einheitsregierung. Wie diese zustande kommt, sollten Schimon Peres und Jitzchak Schamir damals untereinander ausmachen. Die beiden einigten sich auf eine Rotation. Die erste Hälfte der vierjährigen Legislaturperiode amtierte der Awoda-Politiker Peres als Premierminister, die zweite Schamir vom Likud. Dabei war immer der jeweils andere Vizepremier und Außenminister. Dieses sogenannte israelische Modell wurde weltweit zum Vorbild für die Bildung von Regierungen.

Netanjahu ließ Likud-Kandidaten Loyalitätserklärungen unterzeichnen

Diesmal dürfte es frühestens Ende Oktober eine neue Regierung geben. Nach dem vom Präsidenten erteilten Auftrag muss innerhalb von 42 Tagen eine Koalition gebildet werden. Gelingt dies nicht, kann der Präsident einen Zweiten beauftragen, der nur noch 28 Tage Zeit hätte. Netanjahu ist im Frühling daran gescheitert, binnen sechs Wochen eine Koalition zu bilden. Um zu verhindern, dass Gantz den Auftrag erhielt, setzte er Neuwahlen durch.

Dass er dem Land so ein Jahr Dauerwahlkampf aufzwang, werfen Netanjahu auch Likud-Anhänger vor. Politologe Navon ist davon überzeugt, dass in seiner Partei "jetzt die Rebellion gegen Netanjahu beginnt". Solange Netanjahu Siege eingefahren habe, sei er unangreifbar gewesen. "Aber jetzt ergibt sich für viele die Gelegenheit, ihn loszuwerden." Zwanzig Jahre lang hat der 69-Jährige die Partei dominiert und Rivalen häufig rücksichtslos beiseitegeschoben. Vor dieser Wahl ließ er sogar alle, die auf einem Likud-Listenplatz kandidierten, eine Erklärung unterschreiben. Jeder einzelne Kandidat musste Netanjahu seine Loyalität versichern.

In der Partei werden bereits Nachfolger gehandelt. Der Listenzweite Juli Edelstein etwa, bisher Sprecher der Knesset. Auch Außenminister Israel Katz oder der für öffentliche Sicherheit zuständige Ressortchef Gilad Erdan werden gehandelt. Als aussichtsreichster Rivale gilt der populäre frühere Minister Gideon Saar.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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