Wahl in Bremen:Die arme Hochburg der SPD

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Besser, es bleibt alles, wie es ist: Der historische Marktplatz in Bremen mit Rathaus, St.-Petri-Dom und Parlamentsgebäude der Bremischen Bürgerschaft. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Keiner der Herausforderer von Bürgermeister Jens Böhrnsen dringt mit Themen durch, die andernorts Wahlen entscheiden: die prekäre Finanzlage, schlechte Pisa-Noten oder die soziale Spaltung in der Stadt.

Von Peter Burghardt

Die Aufregung hielt sich in Grenzen, als Deutschlands kleinstes Bundesland am Sonntag seine nächste Bürgerschaft wählte. Was sollte schon groß passieren? Es ist das 18. Landesparlament seit dem Krieg, zusammengesetzt aus 83 Abgeordneten, von denen 68 die Hansestadt Bremen vertreten und 15 ihre kleinere Schwester Bremerhaven mit dem riesigen Hafen für Autos und Container an der Mündung zur Nordsee. Aber immer gewinnt dieselbe Partei. Seit 1945 regiert den Staat der beiden Städte ununterbrochen die SPD, noch länger als die CSU ihr Bayern. "Nicht ununterbrochen, sondern unterbrochen durch Wahlen", präzisiert der Bürgermeister Jens Böhrnsen, der gleichzeitig Senatspräsident ist, also die hiesige Version des Ministerpräsidenten.

Bei den Wahlen bekamen die Sozialdemokraten stets die meisten Stimmen. Und es gab keinen Anlass zu Zweifeln, dass es an diesem weitgehend sonnigen Sonntag anders sein sollte. Die Umfragen sagten den Genossen zwischen 36 und 40 Prozent voraus, bei Böhrnsens zweitem Sieg 2011 waren es 38,6 Prozent gewesen. Für Aufsehen sorgten beim letzten Mal allerdings vor allem die Grünen, weil sie 22,5 Prozent einsammelten und die schwache CDU (20,3 Prozent) überflügelten. Damals eroberten die Ökologen angesichts der Reaktorkatastrophe von Fukushima unter den 650 000 Bewohnern einige Anhänger dazu, das galt diesmal als unwahrscheinlich. Doch es war trotz schlechterer Prognosen von ungefähr 16 Prozent ausgemacht, dass die rot-grüne Koalition in ihre dritte Runde geht. Für eine gemeinsame Mehrheit sollte es reichen.

Bremens SPD hatte früher auch mal allein das Kommando, 1991 bis 1995 unter Klaus Wedemeier sogar als Ampel mit Grünen und FDP und anschließend zwölf Jahre lang mit der CDU. Als Böhrnsen dann 2007 seinen parteiinternen Rivalen Willi Lemke bezwungen und an der Spitze des Senats den zuvor so beliebten Henning Scherf ablöste, begann das Bündnis mit den Grünen. Es war eine Rückkehr in die nähere bundesdeutsche Vergangenheit, denn in Berlin hatte sich diese Kombination 2005 verabschiedet. "Wir haben sehr verlässlich, kollegial und wie ich finde auch erfolgreich zusammengearbeitet", sagte Böhrnsen wenige Tage vor der Abstimmung in seinem Büro im Weltkulturerbe-Rathaus. "Es spricht alles dafür, das fortzusetzen."

"Warum eine Partei wählen, die 70 Jahre lang bewiesen hat, dass sie es nicht kann?"

Inzwischen ist ja der halbe Norden rotgrün. In Schleswig-Holstein unter dem SPD-Premier Torsten Albig (und mit Beistand der dänischen Minderheit) währt der Pakt seit 2012, der dortige Grünen-Umweltminister Robert Habeck bewirbt sich sogar um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017. Niedersachsen wird seit 2013 vom SPD-Mann Stephan Weil und den Grünen verwaltet, Hamburgs SPD-Regent Olaf Scholz machte die Grünen nach dem Verlust seiner Alleinherrschaft kürzlich zum Juniorpartner. Bremen hat da vergleichsweise lange Erfahrung. Eine ernsthafte Alternative scheint es fürs Erste nicht zu geben, auch wenn Gegner und Kritiker von der Bilanz deutlich weniger überzeugt sind als Jens Böhrnsen.

Warum wählten die Bremer immer wieder "eine Partei, die 70 Jahre lang bewiesen hat, dass sie es nicht kann?", fragte bei einer Wahlkampfveranstaltung vor schneidigen Unternehmern die parteilose FDP-Novizin Lencke Steiner. Genüsslich zählten sie und andere Herausforderer die Engpässe der Regierung auf. Höchste Verschuldung eines Bundeslandes, derzeit in etwa 20,4 Milliarden Euro. Höchste Arbeitslosigkeit, im April waren es 11,1 Prozent. Schlechteste Ergebnisse bei der letzten Pisa-Studie zur durchschnittlichen Bildung. Jeder vierte Bremer kann im Monat weniger als 869 Euro ausgeben und gilt nach dem deutschen EU-Schlüssel als arm. Auch bei der Kinderarmut ist das Miniaturland an der Weser in einer prekären Lage. Andererseits beherbergt Bremen den zweitgrößten Hafen der Nation, eine der besten Unis sowie Weltmarken. Da kommt es sehr darauf an, von welchem Viertel die Rede ist. In reicheren Gegenden wie Schwachhausen leben zahlreiche Millionäre, Unternehmer und Akademiker, in Bereichen wie Gröpelingen nimmt der Anteil von Immigranten, Arbeitslosen und Empfängern von Hartz IV stetig zu. Außerdem gilt Bremen als Hochburg von Salafisten - ein Antiterroreinsatz Anfang März sorgte für Ärger, weil eine verdächtige Moschee stundenlang nicht überwacht wurde.

"Man muss ja nicht so tun, als ob das hier ein CDU-Siegerland ist."

Dennoch will Bremen bis 2020 die Schuldenbremse einhalten. Bei der Suche nach Entlastung bat Innensenator Ulrich Mäurer kürzlich sogar die Bundesliga für ein Großaufgebot der Polizei beim Derby der Erstligisten Werder und HSV zur Kasse. Ausgerechnet um die enormen Verbindlichkeiten kümmert sich Böhrnsens grüne Stellvertreterin Karoline Linnert, die bedauernswerte Senatorin für Finanzen. Bremen werde kaputt gespart und verstärke die soziale Spaltung, schimpfen die Linken und halten den SPD-Wahlslogan "Miteinander" für Hohn. Auch die CDU-Bewerberin und Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann, geborene Baronesse von Düsterlohe, predigt soziale Gerechtigkeit. Doch auch sie ist nur eine Randfigur. "Man muss ja nicht so tun, als ob das hier ein CDU-Siegerland ist", sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie ihrer chancenlosen Gesandten Motschmann vor ein paar Wochen zu Hilfe eilte. Am Donnerstag riet sie dann auf dem Marktplatz vorsichtig: "Ein Schuss CDU würde Bremen gut tun."

Leichte Gewinne für die CDU sind es wohl geworden, und die kleinen Protestparteien FDP und AfD hofften auf einen Einzug in die Bürgerschaft. Doch in dem schönen Rathaus nebenan hält weiterhin Jens Böhrnsen die Stellung, der Stadtregent und Provinzfürst aus der SPD mit grüner Unterstützung. "Du bist eine Ausnahmefigur", lobte am Freitag der Parteivorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der von solcher Beliebtheit nur träumen kann. "Auf dich kann man sich verlassen." Seit fast zehn Jahren ist Böhrnsen Bürgermeister, und zwischendurch war er als Bundesratspräsident auch mal vier Wochen lang kommissarischer Bundespräsident. Er ist weniger charismatisch als bürgernah und bodenständig, aber dennoch präsidial. "Die Verlässlichkeit, Kurs zu halten, ist das, was die Bremer mögen."

Am Ende seiner nächsten Amtszeit 2019 wäre Böhrnsen 69 Jahre alt und 14 Jahre lang der Bremer Boss. "Bürgermeister, Hanseat, Bremer", steht auf seinem Plakat. Mit ausgeglichenem Haushalt will er sich verabschieden, ein gnädiger Länderfinanzausgleich soll helfen in seinem Revier, dieser verarmten Hochburg der SPD.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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