Volkswagen:Gewalt auf der Fleischfarm

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Die VW-Tochter Volkswagen do Brasil beschäftigte nach Recherchen von NDR, SWR und SZ Zwangsarbeiter auf einer Rinderfarm im Amazonasbecken. Betroffene berichten von massiven Misshandlungen.

Von Stefanie Dodt und Boris Herrmann, Rio de Janeiro/Wolfsburg

Was mit Autos funktioniert, das könnte auch mit Steaks funktionieren, zu dieser Überzeugung scheinen führende Manager von Volkswagen do Brasil Anfang der Siebzigerjahre gelangt zu sein. Damals, zur Zeit der Militärdiktatur, war der VW-Käfer zum führenden Industrieprodukt Brasiliens aufgestiegen. Und das Tochterunternehmen des Wolfsburger Autobauers plante eine weitere Großinvestition: den Einstieg ins Fleischgeschäft. Auf Einladung der Militärregierung, die Steuererleichterungen anbot, kaufte VW do Brasil 140 000 Hektar Land im Amazonasbecken und ließ den Regenwald roden. 1973 gründete das Unternehmen dort eine Farm namens "Companhia Vale do Rio Cristalino". Nach Recherchen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung wurden auf dem Gelände offenbar Zwangsarbeiter eingesetzt.

Für die Rodungsarbeiten im brasilianischen Bundesstaat Pará wurden Arbeitsvermittler beauftragt. Diese entwickelten den Recherchen zufolge ein System der Schuldknechtschaft, mit dem Leiharbeiter zur Arbeit gezwungen wurden. Das geht aus Dutzenden Protokollen von Aussagen ehemaliger Leiharbeiter, Polizeiberichten und Interviews mit Betroffenen hervor. Diese berichten auch von Gewalt und massiven Misshandlungen auf dem Cristalino-Gelände; in Einzelfällen sollen auch Arbeiter getötet worden sein, wenn diese versuchten zu fliehen.

Die Konzernspitze in Wolfsburg war spätestens seit 1983 über die Vorwürfe informiert

Die Rodungsarbeiten wurden über einen Zeitraum von insgesamt zwölf Jahren durchgeführt, pro Saison rodeten bis zu eintausend Leiharbeiter. Friedrich Brügger war der Mann, der die VW-Fleischfarm im Amazonas-Gebiet aufbaute und leitete, ein gebürtiger Schweizer, inzwischen 79 Jahre alt. Er bestätigte nun gegenüber NDR, SWR und SZ, vom System der Schuldknechtschaft gewusst zu haben. "Das ist die Praxis, wie damals diese großen Arbeiten durchgeführt wurden", sagte er. Man habe das in Kauf nehmen müssen, um das Farmprojekt realisieren zu können. Brügger stand in engem Kontakt zur Unternehmensleitung in São Paulo und in Wolfsburg. Auch der Einsatz von Gewalt sei ihm bekannt gewesen: "Ja, es wurden schon massive Mittel verwendet, damit sie nicht davonlaufen. Vor allem, wenn sie verschuldet waren. Das war aber auch nicht speziell von uns." Dass es auch zu Todesfällen kam, bestritt Brügger.

Der mit den Recherchen befasste Historiker bestätigt: "Ja, es war im Prinzip Schuldknechtschaft."

Die Konzernspitze in Wolfsburg war spätestens im Jahr 1983 über die Vorwürfe gegen die Rinderfarm in Brasilien informiert worden. Damals teilte Brügger dem VW-Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn in einem Brief mit, dass man als "Sklavenhalter" bezeichnet worden sei. Hahn bestritt auf Anfrage, von den Anschuldigungen gewusst zu haben. "Ich habe ja bei uns keine Sklavenhalter gesehen."

Eine Gruppe ehemaliger Leiharbeiter des Landgutes fordert nun Entschädigungen von Volkswagen. "Kein Mensch sollte so etwas erleben müssen. Nicht einmal ein Tier darf man so behandeln", sagt der ehemalige Arbeiter José Liborio. "Was ich jetzt von der Firma erwarte, ist eine Entschädigung. Für die Erniedrigung, die wir erleben mussten, die Respektlosigkeit."

Die VW-Farm im Regenwald wurde 1987 verkauft. Carl Hahn ist bis heute der Ansicht, dass es sich um einen "Musterbetrieb" handelte. Dasselbe sagt er über das Automobilwerk von VW do Brasil bei São Paulo, obwohl sich der Volkswagen-Konzern dort in der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) offenbar aktiv an der politischen Verfolgung und Unterdrückung von Regimegegnern beteiligte.

Die Volkswagen AG in Wolfsburg will sich inhaltlich bislang nicht äußern und verweist auf Untersuchungen des Historikers Christopher Kopper von der Universität Bielefeld. Dieser war mit Recherchen zur Vergangenheit von VW do Brasil zur Zeit der Militärdiktatur beauftragt worden. Nach Auskunft des Unternehmens liegt das Gutachten nun vor und wird derzeit geprüft. Die Auswertung der Ergebnisse wolle man abwarten. Auf Anfrage nahm Kopper jedoch vorab Stellung und bestätigte die Vorwürfe: "Es war im Prinzip Schuldknechtschaft."

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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