Vielfalt im Bundestag:Beim besten Willen

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Warum ein diverser Bundestag die Politik nicht zwingend vielfältiger macht.

Von Bernd Kramer

Ein Schriftzug in großen Lettern prangt über dem Westportal des Bundestags: "Dem deutschen Volke". Das Völkchen drinnen ist allerdings ein recht anderes als das draußen. Einen Migrationshintergrund haben rund acht Prozent der in den Bundestag Gewählten, außerhalb des Bundestags liegt der Anteil bei 22 Prozent. Einen Doktorgrad: 18 Prozent, außerhalb knapp über ein Prozent. Männliches Geschlecht: 70 Prozent, bevölkerungsweit bekanntlich 50 Prozent.

Innere Zirkel sind oft anders zusammengesetzt als die äußeren. In Führungsetagen der Wirtschaft versammelt sich das Großbürgertum, in Redaktionen fehlen Arbeiterkinder. Immerhin aber vernimmt man inzwischen häufiger die Rufe nach mehr "Diversity" in den Machtzentren der Gesellschaft, mal verhaltener, mal beherzter, manchmal vielleicht auch nur als zeitgeistiges Alibi. Vorstände börsennotierter Unternehmen sollen nun eine Frauenquote bekommen; Thüringen und Brandenburg haben sich - von den Verfassungsgerichten mittlerweile wieder kassierte - Paritätsgesetze gegeben, die die Landesparlamente weiblicher machen sollten. Die unausgesprochene Hoffnung all solcher Bemühungen: Wenn bisher unterrepräsentierte Gruppen besser in den entscheidenden Gremien vertreten sind, werden endlich auch deren Interessen stärker berücksichtigt. Aber passiert das wirklich?

Je länger die Abgeordneten dem Parlament angehörten, desto mehr erlahmte das Engagement

Politikwissenschaftler um Christian Breunig von der Uni Konstanz und Stefanie Bailer von der Uni Basel trüben diese Hoffnung nun. Das Team hat untersucht, zu welchen Themen Bundestagsabgeordnete zwischen 1998 und 2013 große und kleine Anfragen an die Regierung gestellt haben. Gerade daran, so die Vermutung, wird deutlich, was den einzelnen Politikerinnen und Politikern am Herzen liegt, weil sie die Anfragen relativ frei von Fraktionszwängen stellen können. Bei Gesetzen dagegen geben eher die Fraktionen die Agenda vor. Tatsächlich fragten Frauen nach Themen wie sexueller Belästigung, Migranten nach Themen wie Rassismus, Jüngere nach Altersdiskriminierung. Allerdings: Je länger die Abgeordneten dem Parlament angehörten, desto mehr erlahmte das Engagement. Nach sieben Jahren im Bundestag stellten etwa Abgeordnete mit Migrationshintergrund genauso häufig Anfragen zu Migrationsthemen wie die übrigen Parlamentarier - oder genauso selten, je nachdem. Warum ist das so?

Vielleicht weil sich Politiker ihrem Herkunftsmilieu entfremden? Vielleicht weil ihnen mit den Jahren in der Parlamentsmaschinerie der Idealismus abhandenkommt? Möglich. Forscherin Bailer vermutet, dass auch strategische Kalküle der Karriereplanung eine Rolle spielen. "Wer neu im Parlament ist, kann persönliche Merkmale wie Geschlecht oder Migrationsstatus nutzen, um damit Glaubwürdigkeit zu gewinnen und fehlende Erfahrung zu kompensieren." Ihr Kollege Breunig ergänzt: "Die Karriereanreize in den Fraktionen sind aber offensichtlich nicht so, dass diese Themen dann sehr nachhaltig verfolgt werden."

Eine Lösung könnte vielleicht so aussehen: Es reicht nicht, dass Parlamente und andere wichtige Schaltstellen diverser werden. Es müsste auch für alte weiße Männer aus dem Großbürgertum eine vielversprechende Karriereoption sein, sich für migrantische junge Frauen aus der Arbeiterklasse zu engagieren.

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