Verwaltung:Abschied vom Hängeordner

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So stellte man sich fortschrittliche Ordnung auf der Internationalen Büroausstellung 1931 vor. (Foto: SZ Photo)

Bei all den Milliarden im Konjunkturpaket gehen die 300 Millionen leicht unter, die für "Register­modernisierung" veranschlagt sind. Was spröde klingt, könnte Bürgern bald viel Wartezeit auf dem Amt ersparen.

Von Boris Herrmann, Berlin

In der "deutschen Registerlandschaft" wachsen keine Blümchen und kein Gras. Man muss sich diese Landschaft eher wie einen Irrgarten vorstellen, wer sie aus eigener Anschauung kennt, bei dem wächst meistens nur die Verzweiflung. Das Statistische Bundesamt hat in der hiesigen Registerlandschaft über 200 Verwaltungsdatenbanken gezählt, sie reichen von den örtlichen Melderegistern über das Gewerbezentralregister bis zum Binnenschifffahrtsregister oder dem Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister. All diese Informationen sind nicht standardisiert, nicht miteinander vernetzt, sie existieren mitunter noch in Schubladen und Hängeordnern nebeneinander. "Gehen Sie mal in unsere Ämter, da lachen Sie sich tot. Das ist wie im vergangenen Jahrhundert", sagt Johannes Ludewig, 74, der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats mit Sitz im Bundeskanzleramt.

"Gehen Sie mal in unsere Ämter", sagt der Bürokratie-Berater der Kanzlerin, "da lachen Sie sich tot."

Wenn man dieser Tage mit Ludewig spricht, dann ist zwischen all seinem Wehklagen über die vormoderne deutsche Verwaltung aber auch eine Spur Optimismus herauszuhören. Im Rahmen ihres Konjunktur- und Zukunftspakets hat die Bundesregierung vergangene Woche nämlich auch 300 Millionen Euro für die "Registermodernisierung" veranschlagt. Gemessen am Gesamtvolumen des Pakets von 130 Milliarden klingt das eher nach Kaffeekasse des Finanzministers. Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine bürokratische Revolution: die Flurbereinigung der Registerlandschaft. Ein völlig unterschätztes Thema sei das, meint Ludewig. "Es hat eine absolut zentrale strategische Bedeutung für den Standort Deutschland."

Der Registermodernisierung liegt eine einleuchtende Idee zugrunde: Die meisten Menschen werden nur einmal geboren, und nicht für jede Behörde bei jedem Antrag aufs Neue. Aber so in etwa arbeitet bislang der deutsche Verwaltungsapparat. Um eine Geburtsurkunde, um Elterngeld, Kindergeld oder Bafög zu beantragen, um die Steuer zu erklären oder ein Auto umzumelden, müssen die Bürger immer wieder dieselben Angaben machen, dieselben Pflichtfelder ausfüllen, dieselben Dokumente vorlegen. Lauter Daten, die der Staat ohnehin schon hat, auf die er in seinem Registerchaos aber nicht zugreifen kann. Genau das soll sich jetzt ändern. Experten sprechen vom "Once-Only-Prinzip". Es bildet die Grundvoraussetzung für alle weiteren Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung, etwa den im Onlinezugangsgesetz (OZG) beschlossenen Plan, ein Portal für alle Bürger- und Dienstleistungen einzurichten. Dafür hat die Koalition gerade drei Milliarden Euro bereitgestellt. Ludewig sagt, wenn die Registerfrage nicht gelöst werde, könne man "das ganze OZG durch den Schornstein schießen".

Die Koalition hat das Problem erkannt - nicht erst seit vergangener Woche. Die Registermodernisierung stand schon im Koalitionsvertrag. Passiert ist seither wenig. Staaten wie Dänemark, Österreich oder Estland sind da inzwischen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte voraus. Offenbar musste erst Corona kommen, um die Bedenken der deutschen Datenschützer und vor allem der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken zu überwinden. Aus Unionskreisen ist zu hören, es habe bei diesem Thema im Koalitionsausschuss lange Diskussionen gegeben. Für die Spitzen von CDU und CSU sei das diesmal aber eine Herzensangelegenheit gewesen. Das Paket sei genutzt worden, um das jetzt "mal durchzuziehen". Seitens der SPD heißt es, Finanzminister Olaf Scholz habe das Projekt im Gegensatz zu Esken ebenfalls vorangetrieben.

Jetzt soll es umso schneller gehen. Diese Woche stimmen sich die beteiligten Ressorts unter Federführung von Innenminister Horst Seehofer (CSU) ab. Ziel ist, noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorzulegen. Eine weitere Verschiebung könne sich dieses Land auch beim besten Willen nicht mehr leisten, sagt Ludewig: "Es ist jetzt höchste Eisenbahn." Als ehemaliger Bahnchef darf er diese vormoderne Metapher natürlich benutzen.

Im Normenkontrollrat hat Ludewig schon 2017 ein Gutachten vorgelegt, in dem steht, der Staat könne durch die Registermodernisierung sechs Milliarden Euro pro Jahr einsparen, und die Bürger fast die Hälfte ihrer Zeit, die sie bislang für Verwaltungsangelegenheiten aufwendeten.

Noch ist das ein verwegener Gedanke, aber man stelle sich vor, die deutschen Behörden arbeiteten plötzlich zusammen, dann könnte ein Kindergeldbescheid oder eine Unternehmensgründung künftig so schnell und automatisch ablaufen wie eine Flugbuchung. Dann müsste in einer Situation wie der Corona-Krise in den Gesundheitsämtern "auch nicht mehr jeder mit Faxen rumrennen", sagt Ludewig. Falls die Politik das jetzt schnell auf den Weg bringe, könnte diese Vorstellung in zehn Jahren Wirklichkeit werden, schätzen Insider.

Die Vorbehalte der Datenschützer sollen unter anderem dadurch ausgeräumt werden, dass jeder Bürger dem Once-Only-Verfahren explizit zustimmen muss. Umgekehrt heißt das: Wer die deutschen Registerlande lieben gelernt hat, dürfte auch künftig in jedem Behördenantrag gesondert angeben, wann er unter welchem Namen geboren wurde.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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