Verteidigungsetat:Berliner Rechenkünste

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Warum 1,5 Prozent für Militärausgaben in Deutschland so viel gelten sollen wie anderswo zwei Prozent - und warum Außenminister Maas es schwer haben wird, das zu erklären.

Von Daniel Brössler

Der holzgetäfelte Saal in dem Gebäude an New Yorks Fifth Avenue ist wohl das, was man einen geschützten Raum nennt. Ein paar Dutzend honorige und zumeist ältere Herrschaften haben sich versammelt. Der Präsident des American Council on Germany, Steven Sokol, stellt sie in einer freundlichen Begrüßung vor als "Fahnenträger für das transatlantische Verhältnis". Ziemlich schnell wird klar: Hier hat Heiko Maas nichts zu befürchten. Niemand ist gekommen, um den Gast zu beschimpfen, unter Druck zu setzen, ultimativ mehr Geld zu verlangen oder den sofortigen Stopp des Baus einer Pipeline. Deutschlands Außenminister kann in Ruhe über eine "strategische Partnerschaft" mit den USA sprechen, wie sie nicht ist, aber vielleicht doch irgendwann wieder sein könnte.

Und er kann für New York schwärmen. "Keine andere Stadt verkörpert das kosmopolitische, das global verantwortliche Amerika so sehr wie New York", sagt er. Maas ist in die Stadt am East River gekommen, um den Beginn des einmonatigen deutschen Vorsitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu zelebrieren. Er weiß aber auch: Von hier aus geht es an diesem Mittwoch mit dem Zug nach Washington. Und da wird es nicht so nett sein.

Deutschlands Außenminister muss sich einstellen auf eine 70-Jahr-Feier der Nato und ein anschließendes Arbeitstreffen voller Anspielungen und womöglich auch Anwürfe. Es fügt sich schlecht, dass sein SPD-Parteifreund und Finanzminister Olaf Scholz vor kaum zwei Wochen eine Haushaltsplanung für die kommenden Jahre vorgelegt hat, die nicht zusammenpassen will mit Zusagen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Nato-Verbündeten im Allgemeinen und damit US-Präsident Donald Trump im Speziellen gemacht hat. Bis 2024, lautet diese Zusage, wird Deutschland 1,5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung ausgeben. Zwar steigt das Wehrbudget 2020 um zwei Milliarden auf 45,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer Nato-Quote von 1,37 Prozent. Danach verlangsamt sich der Anstieg aber, sodass er den von der Bundesregierung beschlossenen Eckwerten zufolge 2023 bei einer Quote von nur 1,23 Prozent läge. Da klafft eine Lücke. Und Maas wird danach in Washington gefragt werden.

Im freundlicheren New York testet der Minister schon mal seine Verteidigungsstrategie. "Wir sind dankbar für die Partnerschaft in der Nato, die uns Europäern in den vergangenen 70 Jahren Sicherheit, Stabilität und Wohlstand ermöglicht hat", versichert er. Die Europäer wüssten, dass sie "mehr Verantwortung übernehmen müssen für unsere Sicherheit - aus eigenem Interesse". Deshalb habe Deutschland seit 2014 seine Verteidigungsausgaben um 35 Prozent angehoben. Und, da kommt wieder das Versprechen, "unser Verteidigungsbudget wird weiter steigen - bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts". Deutschland sei überdies einer der größten Truppensteller in der Nato und stehe zu seinen Verpflichtungen. Zumindest in New York traut sich Maas, den Spieß auch einmal umzudrehen: "Öffentliche Debatten" über die Lastenteilung in der Nato führten zu Verunsicherung - "und das in Zeiten, in denen Russland unsere Einheit immer wieder auf die Probe stellt".

Das spiegelt die in Deutschland verbreitete Wahrnehmung wider, dass das größte Ärgernis in zudringlichen Ermahnungen besteht, wie sie etwa der in Berlin kolossal unpopuläre US-Botschafter Richard Grenell vorbringt, der die Höhe der deutschen Verteidigungsausgaben als "inakzeptabel" geißelte. Verglichen mit wiederholten Wutausbrüchen Donald Trumps war das indes fast noch diplomatisch. Bei der Einweihung des neuen Nato-Hauptquartiers 2017 hatte der Präsident die versammelten Staats- und Regierungschefs wie Schulkinder abgekanzelt und etlichen vorgeworfen, sie schuldeten den USA "riesige Summen". Gemeint war vor allem Kanzlerin Angela Merkel. Solche Auftritte haben in Deutschland den Eindruck verfestigt, das Nato-Problem sei hauptsächlich ein Trump-Problem.

Schon Barack Obama hatte die Deutschen ermahnt, mehr für die Verteidigung auszugeben

Tatsächlich aber kommen mindestens zwei Probleme zusammen. Zum einen die Unsicherheit ob eines US-Präsidenten, der die Nato einst als "obsolet" bezeichnet hatte und der beim Gipfel 2018 damit drohte, die USA könnten "ihr eigenes Ding" machen. Zum anderen aber ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der finanziellen und militärischen Lasten. 2018 gaben die USA knapp 3,4 Prozent ihres BIP für das Militär aus, die Europäer in der Nato im Schnitt 1,5 Prozent. Schon US-Präsident Barack Obama hatte die Europäer ermahnt, mehr zu tun. "Unsere Freiheit gibt es nicht umsonst", hatte er im März 2014 in Brüssel gesagt. Wenige Monate später, beim Gipfel in Wales, fiel dann jener Beschluss, der als Zwei-Prozent-Ziel bekannt ist. Er sieht vor, "sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zuzubewegen". Dieses Ziel war damals nicht neu, wurde aber unter dem Eindruck der russischen Landnahme in der Ukraine hochoffiziell bekräftigt.

Dem stimmte damals in der Bundesregierung auch die SPD zu, deren Außenminister Frank-Walter Steinmeier anwesend war 2014 beim Gipfel in Wales. Für richtig will die SPD das Ziel allerdings nie gehalten haben. 2017 erklärte der damalige Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, es gebe gar kein "apodiktisches Zwei-Prozent-Ziel". Im Koalitionsvertrag ist nebulös die Rede davon, dem "Zielkorridor der Vereinbarungen in der Nato" zu folgen, dies aber gekoppelt an die gleichzeitige Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben.

Die Zusage, 2024 immerhin die 1,5-Prozent-Marke zu erreichen, hat Merkel Donald Trump vergangene Woche am Telefon bestätigt. Die Reaktion des Präsidenten folgte beim Besuch von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Weißen Haus am Dienstag: "Ich habe große Sympathie für Deutschland und Angela. Aber Deutschland zahlt nicht, was es zahlen sollte. Das ist sehr unfair."

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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