Verkehr:In der Schwebe

München prüft, ob Seilbahnen die Stauprobleme lösen können.

Von Andreas Schubert

Vor ein paar Jahren hätte man die Idee hierzulande als windige Luftnummer abgetan: eine Seilbahn mitten in der Stadt, die keine Touristenattraktion sein soll, sondern ein ganz normales Verkehrsmittel wie Bus oder U-Bahn. Inzwischen nicht mehr. Die Stadt München lässt ernsthaft prüfen, ob sich mit Gondeln ihre riesigen Verkehrsprobleme lösen lassen. Eine halbe Million Euro soll eine entsprechende Studie kosten. Künftig könnten Pendler über dem von Autos verstopften Frankfurter Ring im Norden der Stadt buchstäblich dem Stau entschweben.

Die Hauptstadt des Autolandes Bayern ist da allerdings ziemlich spät dran. Vor allem in Süd- und Mittelamerika haben sie Seilbahnen längst als effektiven Problemlöser erkannt. In der bolivianischen Metropole La Paz soll das Seilbahnnetz nächstes Jahr schon 30 Kilometer umfassen. Dort haben die Planer vorgerechnet, dass der durchschnittliche Seilbahnpassagier bis zu 16 Tage Lebenszeit pro Jahr gewinnt, die er sonst im Stau verschwenden würde. Im kolumbianischen Medellín erfüllt die 2004 eröffnete Seilbahn auch eine soziale Funktion. Seitdem sie abgelegene Slums mit dem Zentrum verbindet, ist die Mordrate nach Angaben der Stadt um zwei Drittel gesunken. Auch Ecatepec vor Mexiko-Stadt lässt seine Bewohner seit zwei Jahren über das gefährliche Pflaster am Boden hinwegschweben.

In Europa planen unter anderem Toulouse und Göteborg Seilbahnen. Die beiden größten Hersteller, die Firma Doppelmayr in Österreich und Leitner in Südtirol bekommen Anfragen aus der ganzen Welt und wittern das große Geschäft. Seilbahnen, so werben beide, seien das Verkehrsmittel der Zukunft. Inzwischen gelten sie auch als sehr sicher. Sie halten Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern aus, die Gondeln trotzen wie Faradaysche Käfige Blitzschlägen, bei Störungen sollen Notantriebe die Passagiere sicher zur nächsten Station bringen. Dass Passagiere abgeseilt werden müssen, ist selten, kommt aber vor. Im Sommer 2017 mussten in Köln 65 Menschen aus einer Seilbahn über den Rhein gerettet werden, in diesem Januar holten Bergretter in Kitzbühel 20 Wintersportler aus den Gondeln.

Darüber reden die Hersteller natürlich nicht so gerne. Lieber preisen sie die Vorzüge ihrer Anlagen an. Bis zu 4000 Passagiere pro Stunde kann so eine Bahn auf einer Strecke von fünf Kilometern transportieren, bei einer Kapazität von 32 Fahrgästen und einer Geschwindigkeit von bis zu 28 Stundenkilometern. Das entspricht dem Vier-Minuten-Takt einer Straßenbahn. Weil mehrere Gondeln die Station in kurzen Abständen durchlaufen, soll es auch keine Wartezeiten geben. Die Baukosten betragen etwa die Hälfte der Ausgaben für eine Tram - und ein Zehntel der Ausgaben für eine U-Bahn.

Laut einer Umfrage der Bundeswehruniversität Neubiberg würden 87 Prozent der Münchner eine Seilbahn nutzen, nur wenige lehnen sie zum Beispiel aus Höhenangst oder aus Sorge um das Stadtbild ab. Und selbst wenn Busse schneller wären, würde immer noch die Hälfte lieber in eine Seilbahn steigen. Dennoch ist mit Widerstand von Anwohnern zu rechnen. Wer will sich schon gerne von vorbeigondelnden Pendlern ins Wohnzimmer schauen lassen?

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