Verhandlungen:Jamaikas wahre Währung

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Geld, Flüchtlinge, CO₂: Was die Parteien gegeneinander aufrechnen.

Von Cerstin Gammelin und Constanze von Bullion

Wird von Währungen gesprochen, wandern die Gedanken schnell zu Euro, Dollar oder Rubel, also dem Geld, das man in der Tasche hat - oder eben nicht. Es gibt auch nichtmonetäre Währungen, die nicht auf Geld beruhen, wie etwa das Vertrauen, das Partner in politischen Verhandlungen verbinden sollte. Es ist die Währung, die den Unterhändlern für ein mögliches schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis in Berlin nach vier Wochen gemeinsamer Gespräche noch immer weitgehend abgeht. Sie haben sich vielmehr darauf verlegt, die zur Regierungsbildung nötigen Kompromisse in einer Art Tauschhandel zu finden, in dem es im Wesentlichen um drei Währungen geht: Geld, Kohlendioxid und - so zynisch es auch klingen mag - Migranten.

Wer die Vorschläge für gemeinsame Positionen von CDU, CSU, FDP und Grünen betrachtet oder den Verhandlungsführern zuhört, bekommt den Einruck, als versuchten die Parteien, sich nach einem schlichten Prinzip zu einigen, das in etwa so lautet: 50 000 Familiennachzüge gegen zwei Gigawatt Kohlekraftwerksleistung gegen zehn Milliarden Euro zusätzliche Mittel zur Senkung des Soli-Zuschlages.

Verrechnet und verschoben werden die Zahl von Migranten, die nach Deutschland kommen oder wieder aus dem Land entfernt werden. Die stillgelegten Kraftwerkblöcke lassen die klimaschädlichen Emissionen sinken, was sich direkt auf die Verhandlungen in den Bereichen Verkehr und Landwirtschaft auswirkt. Und überall wird Geld gebraucht, um parteipolitische Gräben zuzuschütten. "Nichts ist vereinbart, bevor alles vereinbart ist", geben alle Unterhändler zu Protokoll.

Für die FDP ist die wichtigste Währung tatsächlich das Geld, der Euro. Die Partei braucht knapp 80 Milliarden aus Bundesmitteln, um den Solidaritätszuschlag ersatzlos abzuschaffen. Sie hat für dieses Ziel so vehement geworben, als sei es ein humanitäres Grundrecht. Das Problem ist, dass der Bundesetat maximal 45 Milliarden Euro an nicht verplanten Mitteln hat, die bis 2021 ausgegeben werden können.

Ganz davon abgesehen, dass es der FDP kaum gelingen dürfte, den gesamten Geldtopf für sich zu beanspruchen, führt kein Weg daran vorbei, dass das vorhandene Geld nicht reicht, um den Soli abzuschaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die 45 Milliarden Euro das Maximale sind, das der amtierende Bundesfinanzminister Peter Altmaier zusammengekratzt hat. Erst waren es nur reichlich 34 Milliarden Euro, die zur Verfügung standen. Vergangene Woche schlug Altmaiers Haushaltsstaatssekretär weitere elf Milliarden Euro drauf. Mehr gehe nicht, hieß es. Unionsfraktionschef Volker Kauder ließ wissen, beim Haushalt lägen die Wünsche weit über den Möglichkeiten. Daran ändert auch die tatkräftige Unterstützung der Wirtschaftslobbyisten vom DIHK nichts, die gerade 76 Milliarden Euro an finanziellem Spielraum gefunden haben wollen. "Fehlerhaft und unseriös" sei die Zahl, konterte der Haushaltsausschuss der Unionsfraktion im Bundestag am Freitag. Am Nachmittag hieß es dann in Parteikreisen: Man prüfe einen Kompromiss beim Soli.

Den Grünen wiederum geht es, wenig verwunderlich, um Klimaschutz und die Menge an Kohlendioxid. Sie pochen darauf, dass Deutschland seine Klimaziele einhalten muss. Dazu müsste das klimaschädliche Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent unter die vergleichbaren Emissionen des Jahres 1990 gedrückt werden. Damit das gelingt, müssen die Kohlendioxid-Emissionen aus Industrie und Verkehr drastisch sinken.

Wieder wird also das Ideelle, der Umweltschutz, in Materielles umgerechnet: in Kohlekraftwerksleistung, emissionsarme Fahrzeuge oder die Besteuerung von Diesel, Benzin, landwirtschaftlicher Nutzflächen. Die Maßnahmen zum Klimaschutz, denen Union und FDP zugestimmt haben, reichen nach Rechnung der Grünen bei Weitem nicht, um das Klimaziel 2020 einzuhalten. CDU-Chefin Angela Merkel ging in der Nacht zum Freitag deshalb weiter auf die Grünen zu. Sie bot an, Kohlekraftwerksblöcke mit einer Leistung von sieben Gigawatt vom Netz zu nehmen. Die Grünen hatten zwar acht bis zehn Gigawatt gefordert, sind aber bereit, die restlichen Mengen an Kohlendioxid bei Landwirtschaft und Verkehr einzusparen. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Denn Union und FDP leisten erbitterten Widerstand gegen grüne Vorschläge zum Verkehr.

Wieso also nicht den Grünen beim Thema Kohle so weit entgegenkommen, dass sie anderswo keine Forderungen mehr stellen, lautet nun die Überlegung, besonders in der CSU. In Bayern spielt Kohle keine Rolle, umso dringlicher braucht die CSU Erfolge in der Flüchtlingspolitik. Es folgt das nächste Kalkül: Klimazugeständnisse für die Grünen gegen Härte in der Flüchtlingspolitik für die CSU. Die Grünen aber lehnen einen solchen Ringtausch ab.

Der Dissens um die Migration soll nun am Ende der Sondierungen beigelegt werden, bis dahin wird gerechnet. Die Union beharrt auf einer sogenannten Netto-Aufnahme von maximal 200 000 Schutzsuchenden im Jahr. Die FDP will einen Korridor von 150 000 bis 250 000 Flüchtlingen. Uneins ist man auch weiter über den Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz. Dürften sie Angehörige nachholen, kämen 300 000 Menschen nach Deutschland, warnt die CSU. Unsinn, meinen die Grünen. Erstens kämen nicht alle Angehörigen gleichzeitig. Zweitens lägen laut Auswärtigem Amt derzeit überhaupt nur 70 000 Anträge auf Familiennachzug vor. Es wird weiter addiert, subtrahiert und gestritten. Ergebnis? Offen.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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