Kommission droht Paris mit Verfahren:Letzte Frist für Frankreich

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Im Streit um die Massenabschiebungen von Roma hat die EU der Regierung in Paris ein letztes Ultimatum gestellt. Wenn Frankreich nicht bis zum 15. Oktober die Regeln zur Niederlassungsfreiheit umsetzt, wird die Kommission juristisch gegen Frankreich vorgehen.

Martin Winter, Brüssel

Die EU-Kommission hat Frankreich im Streit über den Umgang mit Roma noch eine letzte Frist gewährt, um ein Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden. Das Gremium entschied am Mittwoch, Paris bis Mitte Oktober Zeit zu geben, die vollständige Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie der EU gesetzlich in die Wege zu leiten.

Anderenfalls wird die europäische Kommission ein formelles Verfahren einleiten. Nach Ansicht von Justizkommissarin Viviane Reding verstößt Frankreich mit der Ausweisung von Roma, die einen EU-Pass besitzen, gegen europäisches Recht. Paris habe die vertraglich garantierte Freizügigkeit in der EU nur mangelhaft in nationales Recht umgesetzt.

Dass Paris noch einmal eine Frist eingeräumt wurde und die Kommission am Mittwoch entgegen aller Erwartungen kein Verfahren eingeleitet hat, hängt offensichtlich mit Auseinandersetzungen in der Kommission zusammen.

Während die Justizkommissarin dem Vernehmen nach für ein sofortiges Verfahren eintrat, nachdem der Streit mit Paris schon länger und sehr lautstark ausgetragen wurde, verwiesen mehrere andere Kommissare darauf, dass Frankreich inzwischen bestimmte bemängelte Regeln korrigiert oder zurückgenommen habe. José Manuel Barroso, der Präsident der Kommission, sagte, Frankreich habe "Zugeständnisse" gemacht und warnte davor, die Auseinandersetzung "zu politisieren".

Nachdem Barroso und der französische Präsident Nicolas Sarkozy auf dem EU-Gipfel Mitte September heftig aneinandergeraten waren, weil Reding die Ausweisung von Roma bulgarischer und rumänischer Herkunft mit dem Nazi-Regime verglichen und einem französischen Minister Lügen vorgeworfen hatte, war versucht worden, eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung zu finden. So gab Paris nach Angaben der Kommission am 22.September "auf der höchsten politischen Ebene Zusicherungen" für eine dem EU-Recht konforme Umsetzung der Freizügigkeit.

Die sind offensichtlich so weitgehend, dass die Kommission zwar einen "Mahnbrief" an Frankreich beschloss, mit dem üblicherweise ein Vertragsverletzungsverfahren beginnt, ihn aber sofort wieder bis zum 15.Oktober auf Eis legte. Umgehend wird Paris aber einen "Fragebogen" zu seinen Umsetzungsplänen erhalten.

Die Kommission erwartet nun von Frankreich, dass es in gut zwei Wochen nicht nur im Detail erläutert, wie es die Freizügigkeit umsetzen will, sondern auch den Zeitplan für die Verabschiedung der entsprechenden nationalen Gesetze. Am 15.Oktober wird die Kommission dann entscheiden, ob die Zusicherungen aus Paris ausreichen, ein formelles Verfahren zu vermeiden, das die EU-Kommission und Frankreich letztlich als Gegner vor den Europäischen Gerichtshofes bringen könnte.

Am 15.Oktober wird es aber nicht nur um Frankreich gehen. Die Kommission prüft auch die Lage in anderen Mitgliedsländern. Vertragsverletzungsverfahren gegen weitere Staaten werden in Brüssel nicht ausgeschlossen. Frankreich mag der spektakulärste Fall sein. Aber bereits im Jahre 2008 stellte die Kommission in einer Untersuchung fest, dass keines der 27 Länder die Freizügigkeit vollständig und in allen Punkten richtig umsetzt. Auch Deutschland wird darin in zumindest zwei Punkten wegen ,,nicht korrekter'' Umsetzung kritisiert.

© SZ vom 30.9.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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