Verfahren gegen Islamistin Jennifer W.:Anwälte sollen 18 000 Euro zahlen

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Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız muss sich nun selbst vor Gericht verantworten. (Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Verteidiger legen Einspruch gegen Strafbefehl ein.
  • Richter des OLG München sollen als Zeugen aussagen.

Von Annette Ramelsberger, München

Die Aufgabe eines Strafverteidigers ist es, seinen Mandanten so gut und engagiert wie möglich zu verteidigen, egal, ob es sich um eine mutmaßliche Mörderin oder eine vermeintliche Sklavenhalterin handelt. Je engagierter ein Strafverteidiger, desto besser für den Mandanten. Doch solches Engagement birgt Gefahren. Gerade hat das Amtsgericht München einen Strafbefehl über 18 000 Euro gegen die Frankfurter Strafverteidiger Ali Aydin und Seda Başay-Yıldız erlassen - weil sie in einem Mordverfahren gegen ihre Mandantin in München auf offensichtliche Widersprüche in den Zeugenaussagen hingewiesen haben. Eigentlich ganz normale Verteidigerarbeit. Doch weil Aydin und Başay-Yıldız aus einem nichtöffentlichen Prozess zitiert hatten, sollen sie nun bestraft werden.

Das kam so: Die beiden Strafverteidiger vertreten nicht nur die in München angeklagte Islamistin Jennifer W. Der 28-Jährigen wird vorgeworfen, zum IS in den Irak gegangen, einen Kämpfer geheiratet und ein kleines Mädchen als Sklavin gehalten zu haben. Das war von ihrem Mann in der prallen Sonne angekettet worden und gestorben. Neben Jennifer W. verteidigen die beiden Anwälte vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf auch noch Sarah O., der ebenfalls Sklavenhaltung vorgeworfen wird. Weil Sarah O. zur Tatzeit noch minderjährig war, läuft der Prozess gegen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Paragraf 353d Strafgesetzbuch verbietet die Veröffentlichung von Aktenteilen und das Zitieren aus nichtöffentlichen Sitzungen. Genau auf diesen Paragraf bezieht sich der Strafbefehl gegen die beiden Verteidiger.

Die Zeuginnen änderten plötzlich ihre Aussage

In beiden Verfahren geht es um die Verfolgung jesidischer Frauen durch den IS. Diese Frauen waren nach ihrer Befreiung von der Hilfsorganisation Yazda befragt worden. Auffällig war, dass viele Zeugenaussagen im Irak noch moderat waren. So erklärten einige Jesidinnen, dass die Europäerinnen unter den IS-Leuten nicht so schlimm wie die Einheimischen gewesen seien. Kaum waren diese Jesidinnen allerdings in Deutschland, veränderten sich die Aussagen. Die ehemaligen Sklavinnen belasteten die angeklagten Frauen nun schwer - ein Punkt, den eine Verteidigung aufgreifen muss. Die Anwältin Başay-Yıldız hatte sich das Einverständnis ihrer Mandantin Sarah O. geholt, um aus dem nichtöffentlichen Verfahren zu zitieren und auf die Unstimmigkeiten hinzuweisen. Die Bundesanwaltschaft hatte vor Gericht erklärt, die Anwälte hätten das doch auch schriftlich machen können, dann hätten sie die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens nicht durchbrochen. Die Bundesanwaltschaft regte ein Ermittlungsverfahren gegen die Verteidiger an. Anwältin Başay-Yıldız sagt dazu: "Es geht nicht an, dass alles, was für meine Mandantin belastend ist, in öffentlicher Hauptverhandlung besprochen wird. Aber alles, was entlastend ist für sie, nicht öffentlich gemacht werden soll."

Unter dem Eindruck des Strafbefehls gegen ihre Anwälte forderte die Angeklagte Jennifer W. am Montag eine weitere Pflichtverteidigerin. Denn es sei nicht klar, ob ihre Anwälte nun nur noch eingeschränkt verteidigen könnten. Başay-Yıldız und Aydin haben gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Demnächst wird also vor einem Münchner Amtsgericht gegen sie verhandelt. Die Richter des Oberlandesgerichts München, wo die beiden die kritisierten Sätze sagten, sollen als Zeugen geladen werden. Die beiden Verteidiger haben sich mittlerweile selbst einen Anwalt genommen: Andreas Lickleder. Der Münchner Revisionsspezialist erklärt, dass von 175 Seiten Zeugenvernehmung genau eine Seite im Gerichtsaal zitiert worden war. Es war die Stelle, an der eine Zeugin erklärte, sie sei falsch verstanden worden und sehr traurig darüber.

Die Anwälte fühlen sich in ihrer Arbeit eingeschränkt

Die beiden Verteidiger fühlen sich in ihrer Arbeit eingeschränkt und verweisen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei Ermittlungen gegen Strafverteidiger besondere Zurückhaltung erforderlich sei. Die Einleitung eines solchen Ermittlungsverfahrens könne das Recht des Mandanten auf den Beistand eines Verteidigers seines Vertrauens beeinträchtigen, argumentieren die Verfassungsrichter, deswegen müsse die Staatsanwaltschaft nur "schonenden Gebrauch" von ihren Befugnissen machen. Auf jeden Fall: Ein Prozess gegen die Anwälte könnte unabsehbare Folgen für das seit 2019 laufende Verfahren gegen Jennifer W. haben.

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