Venezuela:Angst vor kubanischen Zuständen

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Präsident Maduro lässt trotz monatelanger Proteste eine verfassunggebende Versammlung wählen. Aber er muss damit rechnen, dass nur ein Viertel der berechtigen Bürger überhaupt zur Abstimmung geht.

In der Hauptstadt Caracas stehen Anhänger von Präsident Maduro vor den Wahllokalen. Am Sonntag begann in Venezuela die Wahl für die "Costituyente", die Verfassungsgebende Versammlung, die nach Maduros Willen die Macht im Zuge eine Verfassungsreform neu ordnen soll. (Foto: Ronaldo Schemidt/afp)

Bei der umstrittenen Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung in Venezuela hat sich am Sonntag eine geringe Wahlbeteiligung abgezeichnet, wie die Nachrichtenagentur AP aus Caracas berichtete. Fast zwanzig Millionen Menschen waren zur Stimmabgabe aufgerufen, 5500 meist regierungsnahe Kandidaten bewarben sich für die 545 Sitze. Die Opposition hatte zum Boykott aufgerufen, weil sie fürchtet, die Versammlung solle das Parlament entmachten und Präsident Nicolás Maduro fast uneingeschränkte Macht geben. Im Parlament hat die Opposition eine überwältigende Mehrheit. Die Lage war angespannt, Panzerwagen patrouillierten, 232 000 Soldaten sollten die Wahl im Land mit den weltweit größten Ölreserven sichern. Trotzdem gab es gewalttätige Ausschreitungen, bei denen mehrere Menschen umkamen. In der Hauptstadt trugen vier Polizisten Verletzungen durch einen Sprengsatz davon. Im Westen von Caracas rückte die Nationalgarde aus, um Straßenblockaden von Regierungsgegnern zu entfernen. Die Gardisten setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Als einer der ersten gab Präsident Maduro am Sonntag seine Stimme ab: "Das ist ein historischer Tag", sagte er. Er forderte die Welt auf, das Ergebnis zu akzeptieren. Viele Regierungen, auch die USA und EU haben Kritik an der Abstimmung geäußert. Gewählt werden 364 kommunale Vertreter, acht indigene und 173 Mitglieder aus Gesellschaftsbereichen, die vorwiegend der sozialistischen Regierungspartei PSUV nahestehen. Die Opposition hatte bis zuletzt gehofft, die Wahl werde abgesagt, doch am Samstag machte die Wahlleiterin Tibisay Lucena klar: Es gibt kein Zurück mehr.

Die Opposition befürchtet eine dauerhafte Entmachtung des Parlaments und die Errichtung einer Diktatur. Venezuela solle werden wie Kuba. Sie hat Angst, dass die Verfassungsversammlung das Parlament dauerhaft ersetzen soll. Präsident Maduro drohte am Samstag, die Immunität der Oppositionspolitiker in der Nationalversammlung aufzuheben und sie "zur Verantwortung zu ziehen", berichtete die Zeitung El Universal . Ein Bündnis aus rund 20 Oppositionsparteien hat zum Boykott der Wahl aufgerufen und will mit neuen Massenkundgebungen den Wahlprozess stören. Das Bündnis warnte vor Wahlfälschungen. Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz warnte davor, dass Maduro ein totalitäres System errichten wolle. "An diesem Sonntag werden wir entscheiden, ob Venezuela weiter eine Republik und ein Rechtsstaat sein soll", mahnte Ortega, die eine der schärfsten Kritikerinnen der Regierung ist

Wenige Stunden vor dem Wahltag veröffentlichte die Oppositionszeitung El Nacional eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datanalisis: Sie ergibt, dass 72,2 Prozent der Venezolaner die "Constituyente" ablehnen. 74,3 Prozent der Venezolaner glauben demnach nicht, dass eine verfassungsgebende Versammlung dazu beiträgt, die schwerwiegenden Probleme des Landes wie die katastrophale Versorgungs- und Sicherheitslage oder die brutalen Übergriffe der staatlichen Sicherheitskräfte in den Griff zu bekommen. 80 Prozent der Befragten bewerteten die Regierungsführung von Präsident Maduro als schlecht. Bei Protesten und Unruhen starben in den vergangenen Wochen mehr als hundert Menschen, zuletzt am Wochenende. Die Opposition hatte zwar am Freitag und Samstag auf große Demonstrationen, verzichtet, nachdem die Regierung Proteste bis Sonntag verboten hatte. Trotzdem kam es zu neuen Gewaltausbrüchen. Es gab mehrere Tote. In der Provinz Bolívar starb ein regierungsnaher Kandidat in seinem Haus, als Unbekannte das Feuer eröffneten. Auch ein Funktionär der Oppositionspartei Acción Democrática wurde bei Protesten erschossen.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos erklärte am Wochenende, er werde das Wahlergebnis in Venezuela nicht anerkennen. Das Nachbarland spürt die Konsequenzen der Krise in Venezuela am heftigsten. Etwa 200 000 Menschen sind in den vergangenen Wochen nach Kolumbien geflohen, an den Grenzen spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab. Bogotá teilte mit, man werde den Flüchtlingen vorübergehend Asyl gewähren. Dies soll venezolanischen Schutzsuchenden einen legalen Aufenthalt ermöglichen. Peru erwägt Ähnliches. Panama kündigte an, sich möglichen Sanktionen der USA anzuschließen.

Die USA beziehen großer Mengen Öl aus Venezuela.

© SZ vom 31.07.2017 / KNA, EPD - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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