USA:Überraschend unabhängig

Lesezeit: 3 min

Ein Richter am Supreme Court schert aus der Trump-Linie aus. Der Präsident hingegen spricht von "fürchterlichen und politisch aufgeladenen Entscheidungen" der vergangenen Wochen.

Von Christian Zaschke, New York

Erneut hat der amerikanische Supreme Court eine überraschende Entscheidung getroffen, und erneut steht John Roberts, der Vorsitzende des Gerichts, im Fokus. Am Montag urteilte das oberste Gericht der USA, dass ein Gesetz aus Louisiana nicht rechtens ist, welches dazu geführt hätte, dass es in dem Bundesstaat nur noch eine einzige Abtreibungsklinik gibt. Überraschend ist die Entscheidung, weil die Konservativen am Supreme Court mit fünf zu vier in der Mehrheit sind. Doch der konservative Roberts stimmte mit der liberalen Minderheit.

Der Präsident spricht von "fürchterlichen und politisch aufgeladenen Entscheidungen"

Es ist die dritte aufsehenerregende Entscheidung innerhalb von zwei Wochen. Zuvor hatte das Gericht beschlossen, dass der gesetzlich verankerte Schutz der Bürgerrechte auch bedeutet, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung den Arbeitsplatz verlieren dürfe. Zudem schützte der Supreme Court die Rechte von Menschen, die als Kinder illegal ins Land gekommen sind. Beide Entscheidungen sorgten in konservativen Kreisen für Verstimmung. Präsident Donald Trump sprach von "fürchterlichen und politisch aufgeladenen Entscheidungen".

Nach der Entscheidung vom Montag wurde besonders Roberts von Konservativen kritisiert. Der texanische Senator Ted Cruz schrieb auf Twitter: "Roberts ist wieder mit seinen Spielereien zugange. Diesmal hat er sich an die Seite von Abtreibungs-Extremisten gestellt." Kayleigh McEnany, Sprecherin im Weißen Haus, sagte, das Gericht habe sowohl die Gesundheit von Müttern als auch die Leben von ungeborenen Kindern entwertet.

Roberts wurde im Jahr 2005 vom damaligen Präsidenten George W. Bush an den Supreme Court berufen. Er galt als verlässlich konservative Stimme. Daran haben die jüngsten Entscheidungen nicht notwendigerweise etwas geändert. Juristische Beobachter sind der Ansicht, dass Roberts das Gericht durchaus nach rechts bewegen wolle, allerdings ohne dabei den Eindruck zu erwecken, es sei ein Spielball der Politik.

Als Donald Trump sich vor zwei Jahren über ein Urteil ärgerte und sagte, es sei von einem "Obama-Richter" gefällt worden, sah sich Roberts zu einem Statement veranlasst. Er teilte mit: "Wir haben keine Obama-Richter oder Trump-Richter, ebenso wenig Bush-Richter oder Clinton-Richter. Was wir haben, ist eine außergewöhnliche Gruppe von engagierten Richtern, die ihr Bestes tun, um alle gleich zu behandeln, die vor ihnen erscheinen. Diese unabhängige Gerichtsbarkeit ist etwas, für das wir alle dankbar sein sollten."

Im konkreten Fall berief sich Roberts darauf, dass der Supreme Court im Jahr 2016 ein fast identisches Gesetz aus Texas ebenfalls für unrechtmäßig erklärt hatte. Damals hatte das Gericht mit fünf zu drei Stimmen entschieden, und interessanterweise stimmte Roberts 2016 mit der Minderheit. Er sagte nun, dass er in der Tat damals anders entschieden habe und immer noch glaube, dass das Gericht seinerzeit die falsche Entscheidung getroffen habe. Es gehe jedoch eben nicht darum, ob die damalige Entscheidung richtig oder falsch gewesen sei, sondern darum, ob sie auch für den aktuellen Fall gültig sei. Das ist seiner Ansicht nach der Fall.

Was Roberts damit tut, ist die Autorität der Entscheidungen des Supreme Courts zu untermauern. Er drückt aus, dass das Gericht bei gleich gelagerten Fällen nicht unterschiedlich entscheiden solle, nur weil sich die Zusammensetzung der Richter geändert habe. Genau das aber war eines der Versprechen von Donald Trump. Er werde, hatte er im Wahlkampf gesagt, die Zusammensetzung des Supreme Courts dahingehend ändern, dass dieser verlässlich im Sinne der Republikaner entscheide.

Roberts wird in der näheren Zukunft eine immense Bedeutung zukommen. Da die vier konservativen und die vier liberalen Richter meist vorhersehbar entscheiden, wird es immer wieder an ihm liegen, in welche Richtung das Gericht sich neigt. Da er zudem der Vorsitzende des Supreme Courts ist, kommt ihm eine enorme Machtfülle zu. Dass er diese nicht notwendig im Sinne des Präsidenten zu nutzen gedenkt, hat er mehrmals bewiesen. Die Hoffnung der Republikaner beruht daher darauf, dass zwei der liberalen Richter mehr als 80 Jahre alt sind und nicht mehr ewig im Amt bleiben. Um sie gegebenenfalls durch konservative Richter ersetzen zu können, müsste Trump im November wiedergewählt werden.

© SZ vom 01.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: