USA:Präsident und Prediger

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Nach dem Massaker von Charleston tröstet Barack Obama in seiner Trauerrede Amerikas Schwarze. Bisher hatte er stets eine gewisse Distanz gehalten, die gibt er nun auf.

Von Nicolas Richter

Es war ein Augenblick, der über die Richtung des Landes entschied, und Barack Obama wollte der Versöhner sein. "In South Carolina, wo die Südstaaten-Flagge noch immer flattert, haben wir ein mächtiges Bündnis geschmiedet aus schwarzen und weißen Amerikanern", sagte er. Das war im Jahr 2008, als er im Wahlkampf für die US-Präsidentschaft seine erste Rede über Hautfarbe hielt, es war eine persönliche, aber auch sehr differenzierte und nüchterne Rede. Obama stand in der Kritik wegen radikaler Aussagen seines langjährigen Pastors Jeremiah Wright; Obama wollte den Weißen versichern, dass er trotz seiner schwarzen Hautfarbe auch ihr Präsident wäre.

Am vergangenen Freitag nun hat Obama abermals über Hautfarbe gesprochen, oder eher gepredigt. Er hielt die Trauerrede für Clementa Pinckney, den Pastor, den ein hasserfüllter 21-jähriger Weißer erschossen hatte zusammen mit acht weiteren Mitgliedern der Emanuel-Gemeinde in Charleston. In Obamas Worten lag diesmal viel mehr Leidenschaft und Empathie mit den Schwarzen Amerikas als bei seiner Rede 2008. Oft redete er im Ton eines schwarzen Pastors, und am Ende stimmte der sonst emotional extrem sparsame Präsident das Lied "Amazing Grace" an, das zwar von einem weißen Briten geschrieben wurde, für Amerikas Schwarze aber besondere Bedeutung erlangt hat.

Obamas Präsidentschaft endet in anderthalb Jahren, und je näher sie dem Ende kommt, desto mehr findet Obama offenbar zu sich. Obwohl jüngst so viele schwarze Männer von Polizisten getötet wurden, war es nun das erste Mal, dass Obama selbst die Trauerrede für schwarze Todesopfer hielt. In seiner zweiten Amtszeit gibt er zunehmend die Neutralität auf, die er sich selbst auferlegt hat. Jetzt, da er sich nie wieder einer Wahl stellen muss, fürchtet er wohl weniger denn je den Vorwurf, parteiisch zu sein.

Obama hat diesen Vorwurf immer vermeiden wollen. Schon in seiner Rede 2008 klagte er, dass man ihn ständig für "zu schwarz" oder "nicht schwarz genug" erkläre. Als Staatsoberhaupt hat er immer Wert darauf gelegt, ein schwarzer Präsident zu sein, nicht der Präsident der Schwarzen, und er tat dies so sehr, dass manche Schwarze sich von ihm vergessen fühlten. Er hat sich zwar hin und wieder mit schwarzen Gewaltopfern wie Trayvon Martin identifiziert und von Alltagsdiskriminierung erzählt, die er selbst erlebt hat. Aber er klang doch meist distanziert.

Am Freitag war es anders - anders als 2008 war Obama nicht in der Defensive; diesmal war klar, wer Täter ist und wer Opfer. Obama also erinnerte daran, wie die "schwarze Kirche" in Zeiten von Sklaverei und Bürgerrechtsbewegung oft der einzige Zufluchtsort war, und auch dann noch das Ziel weißer Gewalt. "Die schwarze Kirche ist unser schlagendes Herz", sagte Obama, womit er sich ausdrücklich miteinbezog, "es ist der Ort, an dem unsere Würde unberührt ist."

Für den Präsidenten ballen sich gerade in diesen Tagen bleibende Erfolge, Symbole jenes gesellschaftlichen Fortschritts, den er immer verkörpern wollte. Das Parlament billigte seine Agenda für den Freihandel mit Asien, der Supreme Court verteidigte seine Gesundheitsreform und die Homo-Ehe, und das Land lehnte sich gegen die umstrittene Südstaaten-Flagge auf, von der Obama gesagt hat, sie gehöre endlich ins Museum. Vieles in Amerika also fügt sich jetzt in seinem Sinne.

Vielleicht mahnt er gerade deswegen mit drastischeren Worten, dass sich noch immer vieles ändern muss. "Wir sind vom Rassismus nicht geheilt", sagte er jüngst, "und es geht nicht nur darum, dass es unhöflich ist, Nigger zu sagen." Viele, die politisch korrekt nur "N-Wort" sagen, fanden seine Wortwahl schockierend, aber Obama verschafft sich damit eben auch Gehör. Am Freitag beklagte er die heruntergekommenen Schulen, die viele schwarze Kinder besuchen, und all die schwarzen Männer im Gefängnis. Er warnte auch vor dem "subtilen Impuls", (den weißen) Johnny einzuladen für ein Bewerbungsgespräch, nicht aber (den schwarzen) Jamal.

Manche Schwarze mögen zeitweise daran gezweifelt haben - aber Barack Obama ist tatsächlich auch der Präsident der Schwarzen.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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