USA:Orgien des Todes

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Massaker in Las Vegas, Massaker in Texas. Der Waffenwahn fordert seinen Tribut, und die Politik schaut weiter zu. Keine Opferzahl scheint hoch genug zu sein für ein Umdenken.

Von Reymer Klüver

Es war ein lauer Spätsommertag in der Wüste von Nevada, 24 Grad noch um neun Uhr abends. Beim "Route 91 Harvest"-Festival am südlichen Ende des Las Vegas Boulevards hatte Country-Star Jason Aldean gerade mit seinem Konzert zum Abschluss des Musikfests begonnen. "When She Says Baby " sang er. Von den gut 20 000 Besuchern sangen viele ausgelassen mit, und so dachte man zunächst an ein Feuerwerk, als Schüsse fielen. Dann stürzten die Ersten, tödlich getroffen, Chaos brach aus. Menschen suchten in Todesangst nach Deckung, manche liefen, wie gehetzte Hasen, über das mit Sterbenden und Verletzten übersäte Gelände. Ein Mann warf sich über seine Begleiterin, um sie zu schützen. Sie überlebte, er starb. Ein gerade aus dem Einsatz heimgekehrter Soldat der Marines leistete im Kugelhagel Erste Hilfe.

Wo der Schütze lauerte: Der Mörder von Las Vegas zertrümmerte Fensterscheiben und schoss von oben in die Menge. (Foto: Drew Angerer/AFP)

Das Morden hatte kurz nach 22 Uhr am Abend des 1. Oktober begonnen. Es dauerte zehn Minuten. Von einem Zimmer in der 32. Etage des gut 400 Meter entfernten Mandalay Hotels in Las Vegas feuerte der 64-jährige Stephen Paddock wahllos in die Besuchermenge. Mehr als 500 Schüsse gab er ab, mithilfe sogenannter bump fire stocks, die es ihm erlaubten, seine halbautomatischen Gewehre mit der Geschwindigkeit vollautomatischer Waffen abzufeuern. 58 Menschen starben, 546 wurden verletzt. Am Ende erschoss sich der Täter in seinem Hotelzimmer. Die Polizei fand dort 23 Schusswaffen und haufenweise Munition - alles legal erworben. Ein Motiv war zunächst nicht zu erkennen. Es war der schlimmste Massenmord durch Schusswaffen in der Geschichte der USA.

Besucher rannten um ihr Leben. (Foto: David Becker/AFP)

Im Internet gibt es Listen solcher US-Massaker, begangen von schießwütigen Irren, meist weißen Männern, rasend vor Zorn und Hass. Tatsächlich sind diese Orgien des Todes ein relativ neues Phänomen der US-Geschichte. Sie begannen 1966 an der University von Texas, als ein früherer Scharfschütze der Armee 15 Menschen tötete. 1984 fielen 21 Menschen in einem McDonald's in San Diego einem Gewalttäter zum Opfer. 1999 ermordeten zwei High-School-Kids in Columbine, Colorado, zwölf Mitschüler und einen Lehrer. 2012 erschoss ein 20-Jähriger an der Sandy Hook Elementary School in Connecticut 27 Kinder und Lehrer, 2016 starben in einem Schwulen-Nachtclub in Orlando 50 Menschen. Und das sind nur die spektakulärsten Fälle. Im Jahr 2016 wurden in den USA laut dem Gun Violence Archive insgesamt 15084 Menschen durch Schusswaffen getötet.

Gewiss, überall auf der Welt hat es schreckliche Massenmorde gegeben, sogar mit größeren Opferzahlen. Der rechtsradikale norwegische Mörder Anders Breivik tötete 2011 sogar 77 Menschen. Doch das sind Einzelphänomene. In Amerika gibt es eine stete Folge solcher Attacken. Der Waffenwahnsinn fordert seinen Tribut. Nirgendwo in Nicht-Kriegsgebieten sind Waffen so verbreitet wie in den USA: 89 Schusswaffen im Privatbesitz kommen auf 100 Amerikaner; in Deutschland sind es nicht einmal acht auf 100 Einwohner (siehe Grafik auf dieser Seite). Und nirgendwo dürften Waffen so leicht erhältlich sein wie in den USA. In einigen Bundesstaaten sind halbautomatische Schießkolben in Tankstellen zu kaufen, wenn eine Computerabfrage beim FBI keine auffällige Rückmeldung bringt.

Das alles wurzelt in ur-amerikanischer Tradition. Jedem ist es laut Verfassung erlaubt, eine Waffe zur Selbstverteidigung zu tragen. Dass dieses Recht zu einem Glaubenssatz konservativer Amerikaner geworden ist, hat viel mit der starken Waffenlobby zu tun. Waffengegner konnten einen geradezu schizophrenen Trend nachweisen: Noch jedes Mal nach einem größeren Massaker wurden die Regeln für den Waffenbesitz in einzelnen Bundesstaaten gelockert. Nach dem Todesreigen vom Vegas Strip sah es kurz aus, als könnte dieser Trend umgekehrt werden, doch das Verbot der bump fire stocks blieb im Kongress hängen. Dann kam eine neue Horror-Nachricht aus Sutherland Springs, Texas. Ein ehemaliger Soldat erschoss dort am 5. November 26 Gottesdienstbesucher. Der größte Massenmord in einer US-Kirche. Nichts wird sich ändern im Umgang Amerikas mit den Waffen. So zynisch es klingt: Das nächste Massaker kommt bestimmt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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