USA nach der Wahl:Auferstanden aus Ruinen

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We shall overcome: Die USA beweisen 45 Jahre nach der Rede von Martin Luther King, dass das Land reifen kann.

Reymer Klüver, Washington

So oft ist dieses Wort schon bemüht worden. Doch wann, wenn nicht jetzt, muss man es aussprechen: Die Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist eine historische Stunde - für Amerika und die Welt.

Schon lange nicht mehr war die Hoffnung so groß, dass die USA vor einem neuen Aufbruch stehen. Die ausgelassenen Freudenfeste in den Straßen der großen Städte, die Spontanfeier im Regen vor dem Weißen Haus - sie sind nur erste Zeichen dafür, welche Last das Land von sich genommen fühlt.

Die Wahl Barack Obamas war ein Akt der Selbstbefreiung, ja, der Selbstreinigung Amerikas.

45 Jahre nachdem ein schwarzer Prediger auf den weißen Marmorstufen des Lincoln-Denkmals in Washington von seinem Traum eines Amerika ohne Rassenschranken kündete, hat dieses Land einmal mehr bewiesen, dass es reifen kann. Es hat jahrhundertealte Vorurteile überwunden. 45 Jahre nach Martin Luther Kings großer Rede haben die Amerikaner eine Schwarzen zu ihrem Präsidenten gemacht.

Mit Lyndon B. Johnson hatte erstmals ein amerikanischer Präsident die verheißungsvolle Hymne der Bürgerrechtsbewegung aufgegriffen: We shall overcome. Jetzt wird Amerika einen Präsidenten haben, der das trotzig-selbstbewusste uramerikanische Credo anstimmt: "Yes, we can!"

Ja, wir schaffen es. Was auch immer sich für Hindernisse vor uns auftürmen mögen.

Zweifellos verkörpert dieser Sohn eines kenianischen Zuwanderers und einer jungen Weißen das Amerika des 21. Jahrhunderts, in dem ein Drittel nicht mehr Abkömmlinge der weißen Einwanderer sind. Amerika ist ein tolerantes, weltoffenes Land, nun vielleicht mehr, als es jemals war.

Zwei Jahre fast hat der Wahlkampf gedauert. Obama hat auf diesem so unendlich langen, gewundenen Weg zum Weißen Haus nicht nur Ausdauer und Geschick gezeigt. Er hat in Krisen geistesgegenwärtige Übersicht und lässige Ruhe bewahrt und hat erkennbar nie das Vertrauen in sich und seine eigenen Fähigkeiten verloren.

Legte er - wie nach seinem ersten Vorwahlsieg - Anwandlungen von Hybris an den Tag, hat er sehr schnell wieder davon gelassen und sich mit noch größerer Anstrengung den täglichen Mühen des Wahlkampfs unterworfen. Von seinem einmal abgesteckten Kurs ist er nicht abgewichen, von seiner zentralen Botschaft vom neuen Aufbruch für das Land, von seinem Versprechen politischen Wandels ist er in diesen Monaten der Bewährung nicht ein Jota abgewichen.

Das alles gibt Anlass zu der berechtigten Hoffnung, dass er tatsächlich über die Fähigkeiten verfügt, das Land überlegt und überlegen zu führen - anders als der noch amtierende Präsident. Dass er die Kapazität und den Willen besitzt, wirklich Brücken über die Gräben zu bauen, die sein Vorgänger mutwillig aufgerissen hat und welche die US-Gesellschaft, die ganze Welt so tief gespalten haben. Dass er dem Land, das in den letzten Jahren seine Richtung verloren hat, neues Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Werte geben kann.

Obama hat mit einem Erdrutschsieg gewonnen, was die Stimmen im electoral college angeht, dem Wahlmännergremium. Das zeigt vor allem eines: Seine Wahlkampfmaschine war perfekt organisiert und so exakt kalibriert auf die Staaten, wo er Chancen hatte, zu gewinnen.

Auch in absoluten Wählerzahlen ist der Abstand gewaltig - jedenfalls wenn man es an den Ergenissen misst, mit denen George W. Bush ins Amt kam. Wenn man so will, haben die Amerikaner Obama einen großen Vertrauensvorschuss gewährt. Er muss das als Auftrag begreifen, sein Versprechen wirklich einzulösen, das Land wieder zusammenzubringen.

Große Präsidenten haben Amerika stets in eine neue Ära geführt. Barack Obama hat das Zeug, einer der Großen zu werden.

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