USA:Moralapostel am Pranger

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Auf dem hohen Ross: Senatskandidat Roy Moore soll als Erwachsener Schülerinnen belästigt haben, er weist die Vorwürfe zurück. (Foto: Brynn Anderson/AP)

Der republikanische Senatskandidat von Alabama, Roy Moore, sieht sich Vorwürfen sexuellen Missbrauchs ausgesetzt. Trotzdem führt er eine erfolgreiche Wahlkampagne. Trump hält zu ihm.

Von Hubert Wetzel, Washington

Donald Trump kann eine Umfrage lesen. Und wenn er die Umfragen aus dem Bundesstaat Alabama liest, dann sieht er, dass der republikanische Senatskandidat Roy Moore bei den Wählern dort offenbar deutlich beliebter ist, als man angesichts der Umstände meinen könnte.

Die Umstände: Ein halbes Dutzend Frauen haben Moore vorgeworfen, sie vor vier Jahrzehnten sexuell bedrängt zu haben, als sie minderjährige Schülerinnen waren, Moore hingegen schon ein Erwachsener. Moore bestreitet das, er sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne linker Medien. Doch die Indizien belegen recht eindeutig die Vorwürfe der Frauen. Trotzdem liegt Moore - nach einem kurzen Einbruch - in den Umfragen inzwischen wieder gleichauf mit dem demokratischen Kandidaten Doug Jones.

In einigen Erhebungen führt Moore sogar mit ein, zwei Prozentpunkten. Den Segen von Präsident Donald Trump, der zu dem Fall lange geschwiegen hatte, hat Moore nun auch bekommen. "Das Letzte, was wir im Senat brauchen können", sei ein linksliberaler Demokrat, twitterte Trump am Wochenende. "Jones wäre ein Desaster."

Für die Demokraten wäre es ein Triumph, im "tiefen Süden" einen Senatssitz zu erobern

Trump stellte sich damit - nicht zum ersten Mal - auf die Seite seiner treuesten Anhänger und gegen das Washingtoner Parteiestablishment. Viele führende Republikaner im Senat und in der Partei hatten Moore aufgefordert, seine Kandidatur zurückzuziehen. Ihnen ist der frömmelnde ehemalige Richter ohnehin suspekt. In der Fraktionsführung wurden ausgefeilte Pläne entworfen, wie man Moore als Kandidaten bei der Wahl am 12. Dezember ersetzen oder ihn wieder aus der Parlamentskammer werfen könnte, sollte er gewinnen. Trump hat derartige Winkelzüge abgelehnt. Er setzt offenbar darauf, dass Moore trotz aller Vorwürfe nächsten Monat siegen wird.

Das Risiko bei dieser Wette ist durchaus kalkulierbar. Alabama ist ein zutiefst konservativer Staat, unter normalen Umständen hätte ein Demokrat dort so gut wie keine Chance. Die Vorwürfe gegen Moore wiegen zwar schwer, doch er kann es sich leisten, einen nennenswerten Anteil an Wählern zu verlieren, da sein Vorsprung allein durch die Parteizugehörigkeit gewaltig ist. Zudem haben die wichtigsten konservativen Medien, allen voran die rechte Internetseite Breitbart und der Fernsehsender Fox News, zu Moore gehalten. Vor ein paar Tagen sah es so aus, als könnte der bei der republikanischen Parteibasis äußerst einflussreiche Fox-Moderator Sean Hannity dem Kandidaten Moore die Gefolgschaft aufkündigen. Aber Hannity wagte am Ende nicht, Moore offen zu attackieren. Die Wähler in Alabama sollten selbst entscheiden, sagte ausgerechnet der Moderator, der seinen Zuschauern ansonsten permanent erzählt, was sie zu denken und zu glauben haben.

Was die Arithmetik angeht, ist Trumps Rechnung nachvollziehbar. Die Republikaner halten im Senat 52 der 100 Sitze. Sie können sich bei Abstimmungen daher höchstens drei Abweichler aus der eigenen Fraktion leisten. Sollte der Senatssitz aus Alabama, den bisher Justizminister Jeff Sessions innehatte, an die Demokraten fallen, würde die republikanische Mehrheit noch kleiner. Zudem wäre es für die Demokraten ein Triumph, könnten sie im "tiefen Süden" einen Senatssitz erobern.

Und die Demokraten machen es den Republikanern einfach, an Moore festzuhalten. Sie schlagen zwar verbal auf den republikanischen Kandidaten ein, schonen jedoch auch Politiker aus ihrer Partei, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. Einen geradezu spektakulären Fehltritt leistete sich in dieser Hinsicht am Sonntag die Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi. Sie nannte den altgedienten schwarzen Abgeordneten John Conyers eine "Ikone in unserem Land", er habe "viel für Frauen getan". Das passte nicht ganz zu der Nachricht, dass Conyers mindestens zwei Mitarbeiterinnen sexuell belästigt haben soll. Mit einer der Frauen schloss er einen Vergleich und zahlte eine Entschädigung. Sie hatte ihn beschuldigt, er habe sie gekündigt, nachdem sie ihn abgewiesen hatte. Die Kosten des Vergleichs trug der Steuerzahler.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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