USA:Fürs Vaterland

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John Kelly (rechts) ist seit Juli 2017 Stabschef des Weißen Hauses. In dieser Zeit hat er das Präsidialamt zu einer einigermaßen funktionierenden Regierungszentrale umgebaut. (Foto: Alex Brandon/AP)

Wenig verbindet den General John Kelly mit dem narzisstischen US-Präsidenten Donald Trump. Trotzdem arbeitet er für ihn - und macht aus dem Weißen Haus erstmals eine halbwegs funktionierende Regierungszentrale.

Von Hubert Wetzel, Washington

Vor einigen Jahren hielt John Kelly eine Trauerrede. Das war 2010, und Kelly war damals noch Soldat, General der Marineinfanterie. In der Rede gedachte er zweier Marines, die im Irak gefallen waren. Sie hatten eine Straßensperre bewacht und waren bei der Explosion eines mit Sprengstoff beladenen Lasters getötet worden. Eine Videokamera hatte den Vorfall aufgezeichnet. Kelly erzählte in seiner Rede von den letzten sechs Sekunden im Leben dieser Soldaten. Wie der Laster auf sie zuraste. Wie sie zu schießen begannen. Wie sie feuerten und feuerten und der Laster trotzdem weiterfuhr. Wie sie in einem Feuerball starben. "Sechs Sekunden - genug Zeit für zwei mutige junge Männer, ihre Pflicht zu tun", sagte Kelly damals.

Man hört die Geschichte von dieser Rede zuweilen in Washington, wenn darüber gerätselt wird, warum ein Mann wie John Kelly eigentlich für einen Mann wie Donald Trump arbeitet. Kelly - seit Juli Stabschef im Weißen Haus - hat den größten Teil seines Lebens in der Marineinfanterie verbracht. Er hat im Golf- und im Irakkrieg gekämpft, sein eigener Sohn ist 2010 in Afghanistan gefallen. Begriffe wie Ehre, Dienst, Pflicht und Opferbereitschaft sind für ihn keine leere Phrasen. Trump hingegen hat es vor allem dadurch zu Ruhm gebracht, dass er Frauen und Geld hintergejagt ist. Er hat sich um den Wehrdienst in Vietnam gedrückt, weil es daheim mehr Bier und Mädchen gab. Im Wahlkampf hat er einmal behauptet, er habe auch viel geopfert, weil er ja so reich geworden sei. Was ihr bisheriges Leben angeht und vor allem die Werte, an die sie glauben, gibt es kaum etwas, was den narzisstischen Hallodri Trump und den hoch dekorierten Offizier Kelly verbindet.

Kelly wacht eisern darüber, was der Präsident zu sehen oder zu hören bekommt

Trotzdem ist Kelly in den vergangenen Monaten zu Trumps wohl wichtigstem Mitarbeiter geworden. Bevor der frühere General sein Amt antrat, war das Weiße Haus chaotisch, voller Intrigen und Machtkämpfe. Jeder misstraute jedem, jeder machte seine eigene Politik, aber niemand war verantwortlich, wenn etwas schief ging. "Man sagt hier nicht ,Yes, Sir', sondern ,Fuck you'", beschrieb ein Regierungsbeamter damals die Stimmung.

Kelly hat das Präsidialamt seitdem zu einer einigermaßen funktionierenden Regierungszentrale umgebaut. Er weiß, dass er den Präsidenten selbst nicht wirklich zügeln kann, weder dessen maßlosen Fernsehkonsum noch dessen Twitterei. Und er versucht auch gar nicht, Trump persönlich zu kontrollieren. Aber er wacht eisern darüber, was der leicht beeinflussbare Trump zu lesen bekommt und mit wem er spricht. Die Zeiten, in denen Mitarbeiter dem Präsidenten heimlich ungeprüfte Artikel von rechten Internetseiten auf den Tisch legen konnten, sind vorbei; ebenso die Zeiten, in denen alte Kumpels den Präsidenten einfach anrufen oder besuchen konnten. Inzwischen müssen Gesprächswünsche angemeldet werden, sie werden geprüft, oft lehnt Kelly ab, oder er hört zumindest mit. Der republikanische Außenpolitiker John Bolton zum Beispiel, ein bedingungsloser Hardliner und Unilateralist, beschwerte sich jüngst, dass er wegen Kelly keinen Termin mehr bei Trump bekomme. "Trump unter Hausarrest", plärrte daraufhin das rechtslastige Internet.

Unter Trumps einflussreichsten Beratern sind nun bizarrerweise etliche liberale Demokraten

Auch die seltsame Praxis, dass Mitarbeiter im Weißen Haus ohne Termin ins Oval Office marschieren oder uneingeladen an Sitzungen teilnehmen konnten, hat Kelly beendet. Eine Frau, die das mit Vorliebe tat, war der Fernsehstar Omarosa Manigault, die Trump trotz mangelnder Qualifikation für seine Öffentlichkeitsarbeit angeheuert hatte. Berichten zufolge hat Kelly inzwischen befohlen, dass Manigault bei "wichtigen" Treffen draußen bleiben muss. Die fest geplante Anstellung des kaum weniger schillernden Sheriffs David Clarke im Weißen Haus verhinderte Kelly. Selbst Ivanka Trump, die älteste Tochter des Präsidenten, die als Beraterin im Weißen Haus arbeitet, darf angeblich nur noch dann unangemeldet ins Büro ihres Vaters, wenn es Privates zu besprechen gibt.

Zudem hat Kelly einige weitere Personalentscheidungen getroffen, welche die Arbeit im Weißen Haus deutlich professioneller gemacht haben. Die wichtigste: Chefstratege Stephen Bannon, der selbsternannte Revolutionär und Bürokratiezerstörer, musste gehen. Bannon war der Fackelträger der harten, populistischen Rechten im Weißen Haus, er wachte über ihre Dogmen und lieferte sich bei Themen wie Klimaschutz, Handel, Einwanderung oder dem Antiterrorkrieg ständig Gefechte mit den "Globalisten", also jenen Beratern, die Trump zu einer gemäßigteren, internationaleren, traditionelleren Politik überreden wollen. Zusammen mit Bannon wurde einigen weiteren "Nationalisten" gekündigt, die Kelly und seine Verbündeten - darunter Sicherheitsberater H.R. McMaster, ein General des Heeres - für zu verschwörerisch und engstirnig hielten. Das führte zu der bizarren Situation, dass unter den einflussreichsten Mitarbeitern des republikanischen US-Präsidenten Trump nun etliche liberale Demokraten sind, allen voran Wirtschaftsberater Gary Cohn und Schwiegersohn Jared Kushner.

Diese Personalien haben Folgen für den politischen Kurs - vielleicht nicht immer oder grundsätzlich, aber doch im Detail. Trump gilt als Mensch, der nicht selten die Meinung vertritt, die er zuletzt gehört hat. Als er zum Beispiel vor einigen Tagen das Programm beendete, das jene illegalen Einwanderer vor Abschiebung schützte, die als Kinder in die USA gekommen waren, gab er dem Kongress sechs Monate Zeit, diesen Schutz per Gesetz wieder einzuführen. Für die "Nationalisten" war das ein sentimentales Zugeständnis an die Linken. Aber als die Entscheidung im Weißen Haus fiel, fehlte eben Stephen Bannon in der Runde. Stattdessen saß da John Kelly, der dafür war, den jungen Migranten eine Gnadenfrist und dem Parlament eine Chance zu geben, ein Bleiberecht zu beschließen.

Die Frage, warum sich Kelly für Trump abmüht, ist damit freilich noch nicht beantwortet. Manche Leute sagen, es habe vor allem mit jenem Wort zu tun, das Kelly vor sieben Jahren am Ende seiner Trauerrede für die toten Marines erwähnte: Pflicht. Kelly sei ein Patriot und ein Soldat, sagt ein Beobachter, der ganz gut weiß, was im Weißen Haus passiert. "Und wenn er für einen unfähigen Oberbefehlshaber den Laden schmeißen muss, dann macht er das."

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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