USA:Der Bürgermeister, der nie schläft

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New Yorks Rathauschef erklärt, was seine Behörde so macht.

Von Claus Hulverscheidt

Wer der New Yorker Feuerwehrbehörde FDNY einen Brief schreibt, weil sein Auto von einem Löschfahrzeug gestreift wurde oder der Hund die heulenden Sirenen nicht erträgt, muss sich auf eine längere Prozedur einstellen. Nur 38 Prozent der Schreiben werden binnen 14 Tagen beantwortet, oft dauert es deutlich länger. Da ist es tröstlich zu wissen, dass die Männer in ihren ikonischen blau-neongelben Uniformen zumindest im Kerngeschäft weiterhin spitze sind: Brennt irgendwo ein Haus, sind sie im Schnitt in vier Minuten und 20 Sekunden vor Ort. Das sind nur sieben Sekunden mehr als im Vorjahr.

Die Zahlen stammen aus dem "Tätigkeitsbericht des Bürgermeisters" für 2018, einem 440-seitigen Konvolut, das die Stadtverwaltung einmal im Jahr zusammenstellt. Einige der Statistiken stimmen traurig, etwa die Zahl der obdachlosen Familien mit Kindern, die Zuflucht in einer städtischen Unterkunft suchen (im Schnitt 12 619 pro Tag), oder der geringe Anteil an Schulen, die in tadellosem Zustand sind (1,3 Prozent). Anderes ist interessant, manches eher kurios. So erfährt der Leser, dass sich Mitarbeiter der Park-Behörde um exakt 25 258 umgestürzte Bäume oder abgebrochene Äste kümmern mussten. 409 Mal installierten Bauarbeiter neue Bremsschwellen auf den Straßen der Stadt, fast 1,7 Millionen New Yorker haben einen Büchereiausweis.

Die Zahl der Kondome, welche die Verwaltung in Bars, Clubs, Restaurants, Friseursalons, Nagelstudios und Kliniken kostenlos verteilte, brach indes um 40 Prozent auf knapp 21 Millionen ein. Schuld daran soll allerdings nicht Bürgermeister Bill de Blasio gewesen sein, sondern Präsident Donald Trump, der die Bundesmittel für entsprechende Programme kürzte. Glücklicherweise ging die Zahl der Neudiagnosen bei HIV (1953) und Syphilis (1775) trotz der Kondom-Knappheit zurück.

Dass de Blasio den eigenen Tätigkeitsbericht vollständig gelesen hat, darf man getrost bezweifeln. Und doch nähren einige der Statistiken den Verdacht, dass das Machwerk womöglich auch dazu dienen soll, den Chef im besten Licht erscheinen zu lassen. Da wäre etwa die Sache mit den Bürgersteigen. Laut Bericht liegt der Anteil der Gehwege, die "akzeptabel sauber" sind, bei grandiosen 97,1 Prozent. Nun haben unterschiedliche Menschen sicher unterschiedliche Vorstellungen, was "akzeptabel sauber" bedeutet. Fakt jedoch ist: Weil die meisten New Yorker neben ihrem Restmüll auch Plastik und Papier in dünnen Kunststoffsäcken sammeln und zur Abholung an die Straße stellen, werden Tag für Tag unzählige Beutel vom Wind hinfortgeweht. Viele zerreißen dabei und verteilen ihren Inhalt großflächig auf dem Bürgersteig. Die 97 Prozent, so ein Kommentator im Internet, könne eigentlich nur jemand erhoben haben, der sein Büro ein Jahr lang nicht verlassen hat.

Was übrigens fehlt in dem Report, ist die Summe der Vormittagsstunden, die de Blasio im Familien-Fitnessstudio "Y" an Brooklyns Neunter Straße verbringt. Mitsportler haben aber zumindest Näherungswerte in petto: 220 Arbeitstage mal zweieinhalb Stunden, macht 550 Stunden oder knapp 23 Tage im Jahr. Das allerdings ist wirklich nur eine grobe Schätzung. Vielleicht taucht die exakte Zahl ja im Tätigkeitsbericht des Bürgermeisters für 2019 auf.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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