USA:Der Bruder auf dem Kapitolshügel

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Im Gegensatz zu einigen Republikanern teilt Barry Black, der Geistliche im US-Senat, Ansichten des Papstes.

Von Nicolas Richter

Jeden Morgen, bevor in Washington das politische Geschäft beginnt, spricht Barry Black ein Gebet vor den US-Senatoren. Es ist immer ein neues Gebet, oft spielt es auf das aktuelle Geschehen an. Auch am kommenden Donnerstag wird Black beten, bevor Franziskus auf dem Kapitolshügel erscheint, um als erster Papst vor beiden Kammern des US-Parlaments zu sprechen. Aber Black wird den Papst in seiner Andacht nicht wortreich erwähnen, schließlich ist der ja auch nur ein Sterblicher. "Meine Ehrfurcht gilt Gott, deswegen lasse ich mich auch von solch wichtigen Menschen wie dem Papst nicht zu sehr begeistern. Schließlich unterhalte ich mich ja täglich mit jenem, der den Papst erschaffen hat", sagt er.

Black, 66, ist kein Katholik, sondern gehört der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten an. Er ist seit zwölf Jahren der Geistliche des US-Senats, betreut die Senatoren, deren Mitarbeiter und Familien. Er hat in all den Jahren nur einen einzigen Agnostiker getroffen unter den Gewählten, alle anderen sind gläubig. Obwohl sich ein Fünftel der Amerikaner keiner Religion mehr zugehörig fühlt, gilt es noch immer als unmöglich, dass ein bekennender Atheist in den Kongress oder ins Weiße Haus gewählt würde. Franziskus spricht also vor einem gottesfürchtigen Publikum, allerdings nicht vor einem mehrheitlich katholischen, und schon gar nicht vor einem kritiklosen. Vor allem Republikaner haben immer wieder befremdet auf Worte des Papstes reagiert, den sie für tendenziell links halten - etwa wegen seiner beißenden Kritik am Kapitalismus, seiner Mahnung zum Umweltschutz oder seiner Vermittlerrolle in der Annäherung an Kuba.

Barry Black nennt es ein "absolut historisches Ereignis", wenn der Papst im Kongress spricht, schon deswegen, weil dieser Mann weltweit Gehör findet bei Hunderten Millionen Menschen. Aber auch er sagt, dass nicht alle Amerikaner mit dem Papst einverstanden seien. Seitdem der Pontifex erklärt hat, dass er Homosexuelle nicht verurteile, befürchten manche in den USA, die katholische Kirche könne am Ende die zivile Homo-Ehe billigen. "Der Papst hat recht, wenn er sagt, dass Gott die Homosexuellen nicht verurteilt", sagt Black, "aber ich persönlich lehne die gleichgeschlechtliche Ehe auf jeden Fall ab."

In den USA zählt der Umgang mit Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen zu den großen gesellschaftlichen Kontroversen. Unlängst wurde eine Standesbeamtin in Kentucky verhaftet, weil sie sich der Anordnung des Obersten US-Gerichts widersetzte, ein gleichgeschlechtliches Paar zu trauen. Fragt man Black, was er ihr empfohlen hätte, sagt er: "Ich hätte ihr geraten, ihrem Gewissen zu folgen, und sie gewarnt, dass man mit den Konsequenzen leben muss. Ich hätte ihr gesagt, dass ziviler Ungehorsam manchmal notwendig ist. Ich habe das selbst in den 1960er-Jahren getan, als ich gegen die Gesetze der Rassentrennung verstoßen habe. Natürlich könnte die Beamtin auch ihren Job aufgeben. Aber manche sagen: Der bessere Zeuge ist derjenige, der die Folgen in Kauf nimmt. Wie Gandhi oder Martin Luther King."

Im Kongress rätseln sie nun, ob man die Rede des Gastes mit Applaus unterbrechen darf

Einige der größten Gemeinsamkeiten mit dem Papst entdeckt Black in ihren Lebensläufen und in der Haltung zu Ungerechtigkeit und Armut. Beide haben sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet, Jorge Bergoglio, der heutige Papst, als Sohn von Einwanderern in Argentinien, Black als schwarzer Junge in den Armenvierteln von Baltimore. Black stimmt auch der Kapitalismuskritik von Franziskus zu. "Wenn er über die Unterdrückten im Kapitalismus redet, entspricht das der Botschaft des Neuen Testaments, die Notwendigkeit, den Unterdrückten die Hand auszustrecken", sagt er. "Aber der Papst betont auch die Notwendigkeit, dass sich die Unterdrückten selbst aus ihren Fesseln befreien. Sie tragen selbst Verantwortung. Die Bürgerrechtsbewegung in Amerika ist dafür ein Beispiel. Hätte Martin Luther King die Schwarzen nicht aufgefordert, gegen die Vorschriften der Rassentrennung an Imbisstheken zu verstoßen - wer weiß, ob dann heute ein schwarzer Präsident im Weißen Haus sitzen würde."

Black ist überzeugt, dass sich Männer des Glaubens in weltliche, politische Fragen einmischen sollen. Manche Republikaner etwa haben Franziskus kritisiert, weil er zwischen den USA und der verhassten kubanischen Regierung vermittelt hat. "Jesus sagte: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist - aber manchmal überschneidet sich das eben", sagt Black. "Niemand kann ein verantwortungsbewusster Anführer sein, ohne das Heilige und das Weltliche gleichzeitig zu berühren, denn beide sind symbiotisch."

Das bedeutet aus seiner Sicht nicht, dass sich gläubige Politiker alles erlauben sollen. Gerade drohen in Washington wieder etliche rechte Abgeordnete mit dem Äußersten: Sollte das Parlament indirekt Abtreibungen finanzieren, wollen sie das Budget ablehnen und so die Regierung lähmen. "Wenn man an die Folgen denkt, sollte man sich das genau überlegen", warnt Black, "es ist unwahrscheinlich, dass diese Strategie funktioniert." In ähnlicher Lage vor zwei Jahren machte sich Black landesweit einen Namen, weil er in seinen Gebeten die Kompromisslosigkeit der Politiker geißelte. "Nimm ihnen diesen sturen Stolz", bat er Gott, "befrei uns von der Heuchelei, wenn wir vernünftig klingen wollen, obwohl wir unvernünftig sind." Black sagt, dass er keine Ratschläge zu konkreten politischen Entscheidungen gibt, sondern nur ethische Richtlinien. "Ich gebe den Senatoren keine Fische, ich lehre sie nur das Angeln", sagt er. Im Kongress rätseln sie jetzt darüber, ob man einen Papst während seiner Rede mit Applaus und Jubel unterbrechen darf. Black sagt, dass er bei solchen Gelegenheiten eigentlich nicht klatscht. "Vom Temperament her bin ich nicht so überschwänglich." Eine Ausnahme macht der frühere Militärpfarrer nur, wenn ein Redner die US-Soldaten würdigt. "Davon gehe ich aber beim Papst nicht aus."

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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