USA:Abnehmen für den Boss

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Immer mehr Firmen zwingen ihre An­gestellten zu einer gesunden Lebens­weise.

Von Claus Hulverscheidt

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die USA noch so eine Art Arbeitnehmerparadies werden - jenes Land, das Ausbeutung, ja Leibeigenschaft, einst zum Geschäftsprinzip erhob. Jahrhundertelang wären die Menschen froh gewesen, hätte man ihnen die Freiheit geschenkt und sie ordentlich entlohnt. Heute dagegen zahlen Arbeitgeber nicht nur Gehälter, viele geben auch den Kümmerer, dem das geistige und körperliche Wohl der Mitarbeiter am Herzen liegt. Laut Kaiser-Stiftung, die zur US-Gesundheitspolitik forscht, bieten vier von fünf Großbetrieben ihren Belegschaften mittlerweile "Wellness-Programme" an, sie reichen von Diabetesvorsorge und Tabakentwöhnung über Trainerstunden im Fitnessstudio bis zu Kursen gegen Übergewicht und Bluthochdruck. Alle Angestellten, so tönen die Firmen stolz, könnten die Offerten nutzen.

Mit dem "können" allerdings ist das so eine Sache, denn immer mehr Beschäftigte stellen fest, dass sie mitnichten mitmachen können, sondern vielmehr müssen. Und auch die Motive der Arbeitgeber sind keineswegs so altruistisch wie behauptet. Vielen geht es weniger um die Mitarbeiter als um möglichst geringe Beiträge an die vom Unternehmen gewählte Krankenversicherung - und ums Geschäft: "Wenn wir auf unsere Teammitglieder achtgeben", sagt Jessica Lopez, Personalchefin beim Umzugsdienstleister U-Haul, "dann geben sie auch auf unsere Kunden acht."

U-Haul ist ein gutes Beispiel für den Trend. Um schon Arbeitssuchende zu besseren Menschen zu erziehen, stellt die Firma seit zwei Wochen keine Raucher mehr ein - eine Praxis, die in 21 der 50 US-Bundesstaaten erlaubt ist. Wer sich bewirbt, muss sich Fragen zum Nikotinkonsum stellen und bereit sein, auf Wunsch des Chefs künftig jederzeit einen Drogentest zu absolvieren. Andere Firmen gehen noch weiter: Sie locken mit Geldprämien oder drohen mit Sanktionen, um die Mitarbeiter dazu zu bewegen, ihren Lebensstil zu offenbaren, sich regelmäßig vom Betriebsarzt untersuchen zu lassen, Kalorien oder Schritte zu zählen. Wieder andere geben gar maximale Blutzuckerwerte oder Taillenweiten vor. Ziel sei, sagt U-Haul-Personalchefin Lopez im schönsten Managerjargon, den Mitarbeitern dabei zu helfen, "sich zur bestmöglichen Version ihrer selbst zu entwickeln".

Kritiker dagegen sprechen von einer Aufpasserkultur, die private Lebensentscheidungen auf die Ebene der Unternehmen verlagere. Dahinter stecke die Absicht, Jobbewerber und Mitarbeiter auszusieben, die aufgrund ihres Lebenswandels oft krank würden und die Firmen viel Geld kosteten. Dabei seien Übergewicht, schlechte Ernährung, Nikotin- und Alkoholkonsum häufig gar nicht allein den Fehlentscheidungen des Einzelnen geschuldet, sondern ein Schichten-, Bildungs- und Einkommensproblem.

Tatsächlich ist es so, dass Geringverdiener in den USA, wie sie etwa U-Haul beschäftigt, sich gesunde Lebensmittel oder Vorsorgeuntersuchungen wegen der teils horrenden Kosten oft schlicht nicht leisten können. Statt die Mitarbeiter mit Hilfsangeboten zu drangsalieren, könnte ihnen das Unternehmen also auch auf anderem Wege helfen: mit einer besseren Bezahlung.

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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