US-Präsident:Obama im Tal der Tränen

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Simultan hat sich Präsident Barack Obama in mehrere Schachpartien gestürzt. Nicht alle davon kann er gewinnen. Heute leitet er die Sitzung des UN-Sicherheitsrates.

Stefan Kornelius

Barack Obama durchlebt eine Zeitraffer-Präsidentschaft. Nach nur acht Monaten im Amt hat er Höhen erklommen, die manchem seiner Vorgänger in vier Jahren nicht vergönnt waren. Nun aber ist er im Tal der Tränen angekommen, die Präsidentschaft gerät in Not.

Barack Obama stehen Wochen, wenn nicht Monate, der Prüfung bevor. Erst nach dieser Zeit wird man urteilen können, ob der Mann die Statur besitzt, die man ihm bisher zugeschrieben hat. Der Präsidentschafts-Theoretiker Obama muss jetzt zum Präsidenten-Praktiker werden.

Als Obama zu Beginn der Amtszeit sein ambitioniertes Programm anschob, wurde er gerne mit einem Simultanschachspieler verglichen, der sich zutraut, gleich mehrere Großmeister-Partien gleichzeitig zu spielen. Bereits nach den Eröffnungszügen steht aber fest, dass er einige dieser Partien nicht mehr gewinnen kann.

So bleibt ein schales Gefühl: Es ist einfach zu viel Raum zwischen den wunderbaren Worten über den idealen Lauf der Welt und Amerikas Rolle darin und den Resultaten, die der Präsident bislang zu bieten hat.

Geradezu vorgeführt wird Obama beim Thema Afghanistan, seiner schwersten außenpolitischen Bürde. In Washington sind unerwartet schnell die Friktionen zwischen der im Irak und in Afghanistan geprägten Generalität und der politischen Führung deutlich geworden.

Das Militär - Generalstabschef Mullen, der Irak-Held Petraeus und dessen Ziehsohn McChrystal - ist im politischen Spiel mit der Öffentlichkeit geübt und hat einen festen Willen entwickelt. Neun Kriegsjahre haben einen neuen Führungsanspruch im Militär entstehen lassen, und es reicht ein Blick auf die Stellenpläne des Verteidigungsministeriums, um festzustellen, dass der politische Apparat im Pentagon die Schlagkraft des Außenministeriums weit übersteigt.

Der Machtzuwachs löst erwartungsgemäß eine Gegenreaktion der klassischen Außenpolitiker aus, als deren prominentester Vertreter sich Vizepräsident Joseph Biden versteht. Dass der Stellvertreter Obamas nun quasi öffentlich das Militär in die Schranken weist, eine diametral andere Strategie für Afghanistan und Pakistan vorlegt und damit ebenfalls seinen Präsidenten unter Druck setzt, das ist auch für Washingtoner Verhältnisse ein unerhörter Vorgang. Letztendlich zeugt er von einer Führungsschwäche des Präsidenten, der gerade erst vor einem halben Jahr mit großem Aplomb eine neue Afghanistan-Strategie verkündet hat, nur um jetzt aus den eigenen Reihen, und dann gleich von zwei Seiten, unter Beschuss zu geraten.

Treibsatz für die Debatte über das Militär ist - wie so häufig in den USA - die Innenpolitik, konkret: der Streit um die Gesundheitsreform. Obamas wichtigstes innenpolitisches Reformprojekt hat über den Sommer hinweg die Machtbalance in Washington verschoben und der Opposition neues Leben eingehaucht.

Plötzlich steht der Kongress wieder im Mittelpunkt des Gefechts, und den Präsidenten holt die einfache Wahrheit ein, dass man sich immer zweimal sieht im politischen Leben. Wer nun unter Druck gerät, wer düpiert wird, wer sich übergangen sieht, der hat die Chance auf Rache - beim Thema Afghanistan genauso wie in der Klimapolitik.

Die militärische Führung muss befürchten, dass Obama ihr aus Rücksicht auf die Kongress-Befindlichkeiten eine Truppenerhöhung verweigern wird. Der Widerstand in den beiden Parlamentskammern gegen ein stärkeres Engagement in Afghanistan spiegelt den Unmut in der Öffentlichkeit über den Einsatz wieder.

Um den Präsidenten festzulegen, haben die Generäle das Feuer entfacht, in dem sie nun auch selbst stehen. Zwischen den Fronten findet sich ein Verteidigungsminister, der seinem Präsidenten Loyalität geschworen hat. Er könnte der Erste sein, der zerrieben wird.

Aber der Konflikt hat auch andere Schwächen offenbart. Sicherheitsberater Jim Jones ist nicht zu sehen - am wenigsten in der Umgebung seines Chefs. Außenministerin Hillary Clinton meldet sich nur zaghaft zu Wort.

In Europa ward sie noch nicht gesichtet - dort also, wo sich nicht nur die Regierungen in Osteuropa durch die plötzliche Raketen-Entscheidung des Präsidenten düpiert sehen. Selbst politische Gegner des Raketenschildes im Westen fragen sich, ob Obama nicht einen Preis hätte einfordern müssen für seinen noblen Verzicht auf das Projekt - von Russland oder Iran.

So saust die Präsidentschaft dahin: ein unbeholfen wirkender Fototermin mit den Nahost-Kontrahenten, ein zaudernder Obama in den Klimaverhandlungen, herausgefordert vom Kongress und dem Militär. Obama, ein Ankündigungspolitiker, kein Mann der Tat.

Aber: Dies ist der Beginn der Krise, nicht das Ende. Hinter Obamas vielgepriesener Coolness soll sich ja ein eiserner Wille verbergen. Und wer im Wahlkampf so viel Stehvermögen und Finesse bewiesen hat, wird auch im Amt das politische Geschäft nicht verlernt haben.

Allein: Die Zeit der großen Reden und der hehren Appelle ist vorbei. Eine UN-Rede voller Pathos wirkt lächerlich, wenn zu Hause der Dachstuhl brennt. Obama wird Härte und Mut beweisen müssen, wenn er glaubwürdig bleiben will.

© SZ vom 24.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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