US-Pläne für Raketenabwehrsystem:Provokationen unter Freunden

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Die USA suchen weitere Unterstützung für ihr Raketenschutzschild, das beispielsweise Angriffe aus Iran oder Nordkorea abwehren soll. Die Russen reagieren verstimmt - ihr früherer Ministerpräsident warnt vor einem Wettrüsten.

Frank Nienhuysen und Daniel Brössler

Wenn Henry Obering an diesem Mittwoch in Kiew ankommt, kann er sich auf spannende Gespräche gefasst machen. Der amerikanische General und Chef der Missile Defense Agency will in der Ukraine für das geplante Raketenabwehrsystem werben, doch die Botschaften, die er dort erhalten dürfte, könnten unterschiedlicher kaum sein. Präsident Viktor Juschtschenko begrüßt bisher unverhohlen die Pläne der Amerikaner und kritisiert zugleich seinen Premier Viktor Janukowitsch, der wiederum von einem Raketenschild in Osteuropa äußerst wenig hält.

Lange Zeit war lediglich bekannt, dass die USA vor allem in Tschechien und Polen Elemente ihres Abwehrsystems errichten wollen, das gegen iranische Langstreckenraketen schützen soll. In Tschechien geht es um die Stationierung einer Radaranlage, in Polen um zehn Abfangraketen. In beiden Ländern sind die Pläne umstritten, die Bevölkerung lehnt sie mehrheitlich ab. Vor einer Woche aber schreckte US-General Obering die ohnehin angesäuerte russische Militärführung nochmals auf; er sagte, die USA suchten nach Wegen, um auch die Ukraine in die Abwehrpläne einzubeziehen.

US-Radaranlage im Kaukasus

Unklar ist, wie und in welchem Rahmen eine solche Kooperation stattfinden kann, und so gibt es also auch noch keine offizielle Position in Kiew. "Wir brauchen mehr Informationen", sagte Verteidigungsminister Anatolij Grytsenko. Dass in der Ukraine tatsächlich ein weiterer Teil des Raketensystems aufgestellt werden soll, ist wegen des Richtungsstreits in der ukrainischen Führung und der großen Nato-Skepsis im Volk derzeit unwahrscheinlich. In jedem Fall aber gehen die Pläne der Amerikaner über Tschechien und Polen hinaus.

Die USA machten nämlich deutlich, dass sie auch eine Radaranlage im Kaukasus bauen wollen - mitten in Russlands traditionellem Interessenbereich. Ein konkretes Land nannten die Amerikaner nicht, aber so viele Staaten kommen auch nicht in Frage. Armenien unterhält enge Beziehungen zu Russland, Aserbaidschan ist zwar ein Freund der USA, ist aber auch an einem guten Verhältnis zu Moskau interessiert.

Bliebe im Kaukasus also Georgien. Der junge Präsident Michail Saakaschwili ist der wohl engste Verbündete Washingtons in der Region, und ein Nato-Beitritt des Landes ist sein großer Wunsch. Auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung zu einer möglichen Radarstation erklärte die georgische Regierung allerdings lediglich, ,,Georgien behält sich das souveräne Recht vor, selber über Fragen seiner Sicherheit zu entscheiden''.

Gerade die mögliche Ausweitung der US-Raketenabwehr bis in den südlichen Kaukasus hinein hat in Russland besonders heftige Reaktionen ausgelöst. Dadurch sei Russlands "nationale Sicherheit direkt bedroht", warnte der frühere Luftwaffenkommandeur Anatolij Kornukow. Denn die USA würden sich so einen "360-Grad-Blick" in den Süden Russlands hinein verschaffen. Russlands Luftwaffe ist jedenfalls alarmiert.

"Unfreundliches Signal

" Es gehe den Amerikanern um die totale Kontrolle über militärische Objekte in ganz Russland, monierte Vize-Luftwaffenchef Ajtetsch Bischew. "Die USA errichten dieses System an unseren Grenzen, um jeden Raketenstart in Russland orten zu können", prophezeite er. Den Beteuerungen aus Washington, Russland sei gar nicht Ziel des Systems, schenkt weder die militärische noch die politische Führung Russlands Glauben.

"Die Raketenabwehr nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folg", machte der damalige Verteidigungsminister Sergej Iwanow anlässlich der Sicherheitskonferenz im Februar in München klar.

Dabei räumen selbst russische Experten ein, dass von der Raketenabwehr keine echte Bedrohung für ihr Land ausgeht. "Das Problem ist für Russland eher politischer als militärischer Natur", sagt Jurij Saizew von der Akademie der Ingenieurswissenschaften. Nach jetzigem Stand der Technik sei es unmöglich, ein "vollwertiges und hocheffektives Raketenabfangsyste" zu schaffen, schrieb er in einer Analyse für die staatliche Nachrichtenagentur Ria-Nowosti. Die Annäherung der Raketenabwehr an die russischen Grenzen nannte er ein "unangenehmes Detail".

Aus Sicht des früheren Außenministers und Ministerpräsidenten Jewgenij Primakow zielen die amerikanischen Pläne allerdings durchaus auf Russland - wenn auch indirekt. "Diese Maßnahmen an unseren Grenzen sollen Russland in einen Rüstungswettlauf treiben", sagte er in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der Zeitung Nowyje Iswestija. Russland sei wegen des unvergleichlich höheren US-Militärhaushalts dabei offenkundig im Nachteil.

"Wenn wir uns auf dieses Rennen einlassen, dann bremst das die Entwicklung unseres Landes und seiner Wirtschaft", warnte Primakow. Klug sei daher die Ankündigung der russischen Führung, mit asymmetrischen, also billigeren Mitteln auf die Herausforderung zu antworten. Gemeint ist damit wohl vor allem die neue Interkontinentalrakete Topol-M. Dank hoher Manövrierfähigkeit soll sie immun sein gegen die amerikanische Raketenabwehr.

© SZ vom 14.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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