Urteil:Mitlesen verboten

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Der Arbeitgeber hatte sogar die Kreditkartendaten seines Mitarbeiters aufgezeichnet, um ihm eine private Nutzung des Dienstcomputers nachzuweisen. Nun schreitet das Bundesarbeitsgericht ein.

Von Detlef Esslinger

Manche Firmen sind sehr förmlich organisiert, sie legen Wert auf Hierarchie und persönliche Distanz; bei anderen ist es genau andersherum. "Hallo liebes Team", so begann zum Beispiel vor zwei Jahren im April eine interne Mail bei der IT-Firma Bluebox Medienagentur GmbH aus Castrop-Rauxel. Die Telekom habe es "endlich" geschafft, einen schnellen Internet-Anschluss bereitzustellen. "Dieses möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten, aus diesem Grund erhaltet ihr freien Zugang zum Wlan."

Vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt wurde am Donnerstag jedoch eine nicht ganz überraschende Erkenntnis erneut bestätigt: dass es schon immer riskant war, von legerer Anrede und Grammatik auf eine legere Unternehmenskultur zu schließen. Die Richter des Zweiten Senats haben den Bluebox-Chefs jedenfalls beibringen müssen, wie man mit Mitarbeitern umgeht - und wie nicht.

In dritter Instanz behandelten sie den Fall eines Web-Entwicklers, der hier Müller heißen soll und der vier Jahre lang bei Bluebox beschäftigt war, bevor er im Mai 2015 fristlos gekündigt wurde. Der Grund dafür: Müller hatte auf seinem Dienst-PC ein Computerspiel programmiert sowie Dispositionsarbeiten für seinen Vater vorgenommen, einen selbständigen Logistiker. Herausgekommen war dies, weil die Firma auf seinem PC heimlich einen Keylogger installierte, der sämtliche Eingaben Müllers auf der Tastatur protokollierte. Schon vor dem Arbeitsgericht Herne und vor dem Landesarbeitsgericht Hamm hatte der Web-Entwickler, Jahrgang 1985, mit seiner Kündigungsschutzklage recht bekommen. Die entscheidende Frage war weniger, ob er gegen seine Pflichten am Arbeitsplatz verstoßen hatte - sondern ob sein Arbeitgeber ihn mit dieser heimlichen Überwachung überführen durfte. Nein, entschieden am Donnerstag die Erfurter Richter, das durfte er nicht.

Darf man in einer Firma also den Dienst-PC auch privat nutzen, ein bisschen zumindest?

Manche Menschen, auch Arbeitgeber, denken, sie seien besonders pfiffig. Die Mail, die so vermeintlich fröhlich mit "Hallo liebes Team" begann, hatte in Wahrheit einen äußerst unfröhlichen Zweck. Sie war auf Müller gemünzt, sie sollte ihn überführen, aber auf eine Weise, dass er nichts davon ahnte. Eine Kollegin meinte, ein paar Wochen zuvor gesehen zu haben, dass dieser seiner Arbeit zu wenig nachgehe, das meldete sie dem Chef. Als der kurz darauf den schnellen Internet-Anschluss zu verkünden hatte, nutzte er die Gelegenheit. In die Mail dazu schrieb er: "Hiermit informiere ich euch offiziell, dass sämtlicher Internet Traffic und die Benutzung der Systeme mitgelogged und dauerhaft gespeichert wird. Solltet ihr damit nicht einverstanden sein, bitte ich euch, mir dieses innerhalb dieser Woche mitzuteilen."

Heimlich war die Überwachung, weil der Bluebox-Chef die Woche gar nicht erst abwartete. Am 19. April schrieb er seine Mail, schon am 21. April installierte er den Keylogger. Aber selbst wenn er sieben Tage gewartet hätte - die mit dessen Hilfe gewonnenen Erkenntnisse hätte er dennoch nicht verwenden dürfen. Er hat "durch dessen Einsatz das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung verletzt", entschied das Bundesarbeitsgericht.

Es war nämlich keine Notwehrsituation, die Firma musste zum Beispiel nicht befürchten, dass der Web-Entwickler Müller dabei war, Software-Programme an die Konkurrenz zu mailen. Es stand lediglich im Raum, dass er den Computer zehn Minuten am Tag privat genutzt hatte, für das Computerspiel, und um seinem Vater zu helfen. Bei so einem läppischen Verdacht reicht es nicht, eine Mail an alle zu schreiben, mit der Essenz: Wer nicht antwortet, stimmt der Überwachung zu. Schon das Landesarbeitsgericht Hamm hatte darauf hingewiesen, dass in diesem Fall der Web-Entwickler Müller seiner Überwachung per Keylogger ausdrücklich und schriftlich hätte zustimmen müssen. Das Bundesdatenschutzgesetz gilt eben auch in einer Firma, in der man sich duzt; selbst eine Betriebsvereinbarung hätte nicht die Kraft, dem Keylogger zur Legalität zu verhelfen.

Die schriftliche Begründung des Urteils folgt, wie üblich, erst in einigen Wochen. Aber wer als Arbeitgeber Datenschutz für Formelkram hält, der einen leider davon abhält, vermeintlich faule Mitarbeiter zu überführen, dem gewährt schon das schriftliche Urteil des Landesarbeitsgerichts aufschlussreiche Lektüre. Dessen Richter formulierten: "Die Kammer sah sich bereits zu Beginn der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis genötigt, der Kläger möge sich eine neue Kreditkarte besorgen." Der Keylogger hatte deren Nummer, die dreistellige Prüfnummer, die Gültigkeitsdauer und so weiter protokolliert. Damit hätte man prima im Internet einkaufen können - und weil alle Prozessbeteiligten diese Angaben aus den Akten kannten, auch der Bluebox-Chef, wollten die Richter sie davor schützen, bei einem etwaigen Missbrauch der Karte "in einen ungerechtfertigten Verdacht zu geraten".

Darf man in einer Firma also den Dienst-PC auch privat nutzen, ein bisschen zumindest? Diese Frage wird ja seit Längerem in vielen Betrieben diskutiert; allerdings werden zur Klärung normalerweise keine Arbeitsrichter benötigt. In früheren Entscheidungen, vor elf und vor zwölf Jahren, erkannte das Bundesarbeitsgericht einmal auf "exzessive Privatnutzung", in diesem Fall jedoch nicht. Schon das Landesarbeitsgericht hatte darauf hingewiesen, was der Bluebox-Chef in seiner Mail vom April 2015 ja zusätzlich geschrieben hatte: dass die Mitarbeiter das neue Wlan benutzen sollten "für alles wie Spotify, Youtube etc." und dass er ihnen sogar Kopfhörer dafür besorgt habe - mit anderen Worten: "dass es ihnen ersichtlich gestattet war, während der Arbeitszeit die zur Verfügung gestellten Netzwerke auch für private Belange zu nutzen". Was auch immer die Linie der Firma im Umgang mit ihren Leuten ist: Das Bundesarbeitsgericht fand, eine Abmahnung hätte hier gereicht.

Ob der Web-Entwickler Müller nun weiter bei der Bluebox-Medienagentur arbeiten wird, war am Donnerstag nicht endgültig zu klären. Sein Anwalt war nach der Verhandlung nicht zu erreichen. Dem Vernehmen nach hat er jedoch längst wieder einen anderen Job, die von ihm verklagte Firma teilte auf SZ-Anfrage mit, nicht mit einem Rückkehrwunsch zu rechnen. Wozu dient dann solch ein Urteil? Dazu, dass eine Firma einem ehemaligen Mitarbeiter den Verdienstausfall bezahlen muss, den er hatte, bevor er seine neue Stelle antrat.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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