Unruhen in Nigeria:Im Namen des Geldes

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In Nigeria kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen. Doch die Religion spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Sebastian Wolfrum

"Wir rannten aus den Häusern und waren völlig machtlos. Und dann haben sie alle mit Macheten getötet, die nicht schnell genug laufen konnten." Augenzeugen berichten den Medien Schreckliches über die jüngsten Vorfälle in Nigeria. Muslimische Nomaden haben in der Region Plateau ein wahres Blutbad an christlichen Dorfbewohnern angerichtet, laut offiziellen Angaben kamen dabei 109 ums Leben.

Wüten in dem Vielvölkerstaat Nigeria etwa Glaubenskriege zwischen Muslimen und Christen? Nein, sagt Heinrich Bergstresser, vom Hamburger Institut für Afrika-Studien. Die Morde auf Religion zurückzuführen sei falsch. "Was hier am Wochenende geschehen ist, sind die Auswüchse eines mehrdimensionalen Konflikts."

Es gehe um Landrecht, um Weiderecht. Und darum, wer in der Region das Sagen habe, wer in der Bezirksregierung sitze, meint Bergstresser, der selbst viele Jahre in Nigeria gelebt hat. Es wird also nicht um den wahren Glauben gekämpft, sondern vielmehr um die Machtverhältnisse vor Ort. Und es geht um Geld. Denn wer die Lokalregierung stellt, wird an den Einnahmen des Staates beteiligt. Nigeria ist an sich kein armes Land, es fördert Erdöl und Erdgas. Aber so reich der Staat an Rohstoffen ist, so arm ist seine Bevölkerung, mehr als die Hälfte der Menschen dort lebt von weniger als einem Dollar pro Tag.

Wirtschaftliche Konkurrenz befeuert den Konflikt

Religion ist wichtig, um den Konflikt zu verstehen. Allerdings eher um die Gruppen voneinander abzugrenzen. Religiöse Motive, etwa ein Heiliger Krieg, sind nicht die Hintergründe für die Übergriffe. Das sind Faktoren wie Machtkompetenzen und eben der Zugang zu öffentlichen Geldern. In der Region um die Stadt Jos leben besonders viele ethnische Gruppen, die um die Vorherrschaft in der Region kämpfen.

Es ist die wirtschaftliche Konkurrenzsituation, die immer wieder Gewalt zwischen den Gruppen auslöst. "Die Religion dient hier mehr als Ideologie zur Mobilisierung und überdeckt die eigentlichen wirtschaftlichen Probleme", so Bergstresser.

In dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, vor allem im Bundsstaat Plateau. Erst im Juni vergangenen Jahres kamen dabei mehr als 130 Menschen um, im Januar 2010 wurden erneut 500 Menschen getötet. Damals waren es Christen, die Muslime attackierten. Die Angriffe vom Sonntag sind demnach auch von Rache motiviert.

Eigentlich herrschte zum Zeitpunkt des Angriffs eine vom Militär überwachte Ausgangssperre. Die konnte die Nomaden aber weder abschrecken noch aufhalten. Als Konsequenz hat Vizepräsident Goodluck Jonathan, der seit der Erkrankung des Präsidenten Umaru Yar'Adua die Regierungsgeschäfte führt, den verantwortlichen nationalen Sicherheitsberater entlassen. Außerdem wurden 96 Verdächtige festgenommen.

Unwille der politischen Elite

Damit hat die nigerianische Regierung punktuell Härte gezeigt. Das ist wohl auch eine Reaktion auf den internationalen Protest gegen die Untätigkeit. Sowohl US-Außenministerin Hillary Clinton als auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderten dazu auf, für mehr Sicherheit zu sorgen.

Das zugrundeliegende Problem des Landes, die Armut, wird so nicht gelöst. Das wird auch nicht versucht. Die Elite des Landes zeigt kein Interesse daran, sich um die Probleme der Menschen in Nigeria zu kümmern. Die Führungsschicht des Landes setzt sich übrigens aus verschiedensten religiösen und ethnischen Gruppen zusammen. Herkunft und Religion sind hier aber eher unwichtig.

Über die Zugehörigkeit zur Führungsriege des Landes entscheiden allein Macht und Vermögen. Die Oberschicht bereichert sich weiter ungehindert an den Schätzen des Landes. Laut Transparency International gehört Nigeria zu den korruptesten Staaten Afrikas.

Von den existierenden Wirtschaftsprogrammen - fast ausschließlich zur Förderung der Bodenschätze - kommt bei der Bevölkerung so gut wie nichts an. Genauso fehlt es an staatlichen Versöhnungs- oder Dialogprogrammen für die sich bekämpfenden Gruppen.

Szenen wie die vom Wochenende könnten sich also jederzeit wiederholen. Das liegt aber nicht allein an religiös begründetem Hass zwischen Muslimen und Christen. Sondern vielmehr an der Konkurrenz der Gruppen untereinander, die sich in wirtschaftliche Verteilungskämpfe verstricken. Und an einer Führungsschicht, die die Menschen sich zu großen Teilen einfach selbst überlässt.

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