Unruhen in China:Wut - so heiß wie ein Vulkan

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Bomben explodieren in Banken und vor Regierungsgebäuden, Polizeiwagen gehen in Flammen auf: Die Proteste in China betreffen lokale Ungerechtigkeiten, aber die Wütenden verbindet ein gefährliches Gefühl. Die kommunistische Führung sitzt auf einem Vulkan, der deutlich zu rumoren begonnen hat.

Henrik Bork

In China hat ein heißer Sommer begonnen. Autobomben explodieren vor Regierungsgebäuden in der Küstenprovinz Fujian. Eine selbstgebastelte Benzinbombe geht in einer Bank in Gansu hoch. Ganz Tibet ist für Ausländer vorübergehend gesperrt worden - wegen anhaltender Unruhen. In der Inneren Mongolei rebellieren die Mongolen. Und selbst in der reichen Südprovinz Guangdong gehen Polizeiwagen in Flammen auf.

Die Suche nach einem Muster, das all diese geographisch versprengten Unruheherde verbindet, führt zunächst ins Leere. Mal ist es die Wut über die Enteignungen eines Gebäudes (Fujian), über eine Entlassung (Gansu), die Zerstörung von Weideland durch Kohleförderung (Innere Mongolei) oder über einen Akt von Polizeibrutalität gegenüber einer schwangeren Wanderarbeiterin (Guangdong), die als Auslöser für diesen oder jenen örtlichen Flächenbrand dienen. Oberflächlich betrachtet hat das eine nichts mit dem anderen zu tun, und die Protestbewegungen sind auch nicht vernetzt.

Und doch gibt es Merkmale, die all diese lokalen Proteste miteinander verbinden, die so etwas wie einen gemeinsamen Nenner erkennen lassen. Immer wieder wird die Gewalt von Menschen begangen, die sich ungerecht behandelt fühlen; die weit und breit keine zivilgesellschaftlichen, legalen Wege zur Schlichtung ihrer Konflikte sehen. Egal ob in Fujian ein Eigentümer mehr Entschädigung für sein abgerissenes Gebäude verlangt, in Gansu ein Bankangestellter seine Entlassung anfechten will, Hirten in der Mongolei den Mord an einem Protestler geahndet sehen wollen - überall entdecken die Menschen, dass sie ohne Parteikontakte oder Geld in diesem neuen China zu Bürgern zweiter Klasse geworden sind.

Die Kommunistische Führung, wenngleich gut eingeigelt hinter den hohen Mauern ihrer Pekinger Parteizentrale, ist inzwischen erkennbar besorgt über die Zunahme des zivilen Ungehorsams draußen im Lande. Das "Management der Gesellschaft" ( shehui guanli) war denn auch der Fokus von gleich drei hochrangigen Parteitreffen in jüngster Zeit: auf einer Studiensitzung des Politbüros im vergangenen November, auf einem Symposium für führende Provinzkader im Februar und im Mai bei einem Treffen des Politbüros zum Thema "Innovationen für das Regieren".

Selbst in der sonst zahmen Parteipresse werden nun Töne laut, die ein Abrücken von der stets gleichen Reaktion, dem Schwingen der Polizeiknüppel, fordern. So kommentiert die Online-Ausgabe des Magazins Caixin, die chinesische Gesellschaft sei angesichts ihrer sozialen Widersprüche "an einer Wegkreuzung angelangt, und die Führung weiß das". Und auch eine Lösung wird in dem bemerkenswert mutigen Artikel vorgeschlagen. "Die Herrschaft des Gesetzes - anders als Herrschen mit Hilfe des Gesetzes - ist nicht mit der Idee der Herrschaft durch eine Handvoll von Führern zu vereinbaren." So schreibt Caixin.

Deutlicher kann in einem der chinesischen Zensur unterstehenden Blatt eigentlich nicht mehr gesagt werden, dass all die Bomben, Straßenkämpfe und Demonstrationen in den chinesischen Provinzen letztlich systembedingt sind. China bräuchte dringend eine unabhängige Justiz. Es bräuchte Richter, die nicht von denselben Parteibonzen ausgewählt und bezahlt werden, deren Landnahme oder gierige Kohleförderung sie dann gegen die Bürger zweiter Klasse verteidigen. Es bräuchte Staatsanwälte, die Unrecht ohne Rücksicht auf die Parteiposten und die guten Beziehungen der Verdächtigen verfolgen dürfen.

Kurzum, China bräuchte die Einsicht seiner herrschenden kommunistischen Kaderklasse, dass ein allzu unverschämtes Ausbeuten der natürlichen Ressourcen oder ein allzu rabiates Überführen von Gemeinbesitz auf private Bankkonten in Übersee zu einer Explosion eines Vulkans führen könnte - der in diesem Sommer schon sehr deutlich zu rumoren begonnen hat.

© SZ vom 18.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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