Ungarn:Neue Runde, alter Feind

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Ministerpräsident Orbán will gegen die "Einflussnahme" von "international gesteuerten Gruppen" vorgehen. Bürgerrechtler sind alarmiert. (Foto: Attila KisbenedekAFP)

Viktor Orbán will NGOs schärfer kontrollieren. Die fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt - und fürchten, die Regierung wolle sie mundtot machen.

Von Cathrin Kahlweit, Budapest

Michael Ignatieff wusste genau, wie aktuell die Performance "Hate Speeches" plötzlich war. Eine kleine Gruppe Studenten der Central European University (CEU) in Budapest hatte sie wochenlang geprobt, und der Rektor der Hochschule kündigte sie kurz vor dem ungarischen Nationalfeiertag in einem schönen, neuen Hörsaal an. Auf der Bühne warteten aufgeregte Akteure auf ihren Auftritt, wie sie die Hochschule mit ihren 130 Nationen ausmachen: ein Syrer mit wilden Locken, eine Kasachin im schulterfreien Top, eine Türkin mit Kopftuch, ein Kanadier mit feuerrotem Haar, eine Frau im Hidschab, ein Schwarzafrikaner mit Nerd-Brille.

Zu Wochenbeginn, unmittelbar vor der Aufführung, war bekannt geworden, dass in Ungarn sehr bald ein Gesetz beschlossen werden soll, das auf den Gründer und wichtigsten Sponsor der CEU zielt, auf George Soros. Und auch wenn die Universität nicht bedroht ist, so wächst doch überall in Budapest, wo Ausländer zusammenkommen, die Nervosität: Was hat Viktor Orbán vor?

Erst vor wenigen Tagen, parallel zur erneuten Verschärfung der Asylgesetze, hatte der Ministerpräsident kulturelle und ethnische Homogenität als ungarisches Ideal gepriesen. Als Nächstes geht es nun offenbar gegen die "politische Einflussnahme" von "international gesteuerten Gruppen". Tatsächlich sind vor allem große Nicht-Regierungsorganisationen Opfer der aggressiven Regierungs-PR, darunter einige, die der in Ungarn geborene US-Investor und Philanthrop Soros unterstützt.

"Diese Organisationen müssen mit allen Mitteln weggeputzt werden", hatte ein hochrangiger Politiker der regierenden Fidesz-Partei erklärt und drei Gruppen genannt: die Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), das Ungarische Helsinki-Komitee (MHB) und den ungarischen Ableger von Transparency International (TI). Zuvor hatte Orbán angekündigt, das Jahr 2017 werde "von der Verdrängung der Kräfte aus Europa künden, die durch Soros verkörpert sind". Soros fürchtet bereits, dass "das Schicksal unserer Förderungsempfänger und Mitarbeiter" auf dem Spiel steht.

Jede politische Debatte über Menschenrechte in Budapest birgt derzeit einen Subtext. In Ignatieffs Rede, in der Aufführung der "Hate Speeches", die von der Misshandlung von Flüchtlingen an der Grenze, von Islamfeindlichkeit und Antisemitismus handelten, konnte jeder eine Botschaft hören, der sie hören wollte: Die Welt sei voller Hass, rief Ignatieff in den Saal, und mit dem Hass wachse die Angst. Dabei habe sich doch diese Universität der Vernunft und dem Dialog verschrieben. "Intoleranz und Gewalt? Nicht in meinem Haus!"

Die Leiter ausländischer Organisationen sollen auch persönliche Vermögen offenlegen

Das ist eine deutliche Botschaft, aber es ist zweifelhaft, dass sie auch außerhalb des Hörsaals gehört wird. Die Fidesz-Führung hat angekündigt, in den nächsten Tagen werde das Gesetz, das die Kontrolle über die NGOs ausweiten soll, zur Abstimmung gebracht. Details sind nicht bekannt, allerdings hieß es im Vorfeld, die Organisationen und auch ihre Leiter würden zur Offenlegung von Geldgebern und persönlichem Vermögen gezwungen. Damit solle geprüft werden, inwieweit sie vom Ausland finanziert und im ausländischen Auftrag, quasi als "feindliche Agenten", tätig seien. Der Regierungssprecher war bezüglich der Details nicht zu erreichen.

Es ist nicht das erste Mal in der Orbán-Ära, dass NGOs unter Druck geraten. 2014 waren Organisationen, die "feindlichen Interessen dienen", von regierungsnahen Medien gelistet wurden; später wurden Gruppen ausgesondert, die mit Mitteln aus Norwegen (EEA, Norwegian Grants) finanziert wurden. In einem politischen Kleinkrieg darüber, wer die Mittel zuweisen darf, verlor Budapest letztlich gegen Oslo und Brüssel; daraufhin wurden fast 60 NGOs einem Regierungs-Audit unterzogen, einige von der Steuerpolizei durchsucht, Mitarbeiter von der Polizei abgeführt.

Gabor Sarkösi von der Roma Press Agency erinnert sich gut. Seine NGO bereitet Informationen über die Roma-Community nachrichtlich auf und bekam bis 2012 Unterstützung von Soros, bis 2014 auch von den Norwegern. "Wir waren immer völlig transparent, wir können jeden Cent nachweisen. Aber unsere gesamten Akten wurden beschlagnahmt, wenn wir etwas brauchten, mussten wir zur Steuerbehörde gehen, eine Nummer ziehen und warten, bis wir unsere Papiere einsehen durften." Sarkösi ist Rom, früher konnte er von der Agentur leben, heute muss er nebenher jobben, viele Mitarbeiter wurden entlassen. "Sie haben uns ein Jahr geprüft und nichts gefunden, zum Schluss mussten wir unsere Akten selbst abholen." Warum das alles? "Die Regierung braucht neue Feindbilder. Wir werden als Heimatverräter hingestellt, die von fremdem Geld leben. Die Ungarn sollen glauben, wir betrieben die Weltverschwörung."

Auch TASZ, die ungarische Gesellschaft für Bürgerfreiheiten, war vor drei Jahren im Visier der Finanzbehörden und wurde einer Überprüfung unterzogen. "Wir haben nie wieder was gehört", sagt die Leiterin Stefania Kapronczay, "aber jetzt sind wir offenbar wieder auf einer schwarzen Liste." Die junge Juristin zitiert ratlos die Argumente der Regierung: "Weil wir bei öffentlichen Angelegenheiten mitredeten, heißt es, müssten wir nach dem neuen Gesetz auch unsere persönlichen Vermögensverhältnisse offenlegen. Aber wir füllen keine öffentlichen Ämter aus, und wir werden nicht mit öffentlichen Geldern bezahlt." Sie ist, wie alle Mitstreiter, überzeugt, dass die Orbán-Regierung verlernt habe, abweichende Meinungen zu ertragen. Wenn es in Ungarn noch eine funktionierende Opposition gäbe, glaubt sie, wäre der Druck auf die NGOs nicht so groß.

Wenn das Gesetz kommt, wird auch die EU, werden auch die europäischen Nachbarn gefragt sein. Werden die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, auch mit dem Etikett "feindlicher Agent" belegt? Wer definiert, welche Gruppen gut, welche böse sind? Der Mazedonier Goran Buldioski stellt solche und andere weitreichende Fragen. Er ist Europa-Direktor der Open Society Stiftungen (OSF), in denen Soros seine Aktivitäten bündelt. Seit 30 Jahren sind die OSF in Ungarn tätig. Sie haben den Transformationsprozess begleitet, anfangs mit Kopier- und Faxgeräten, dann mit Subventionen für Schulbücher, Milch für Kindergärten, schließlich für eine wachsende Zahl von Projekten der Zivilgesellschaft. Wen OSF fördern, wer Stipendien und Zuschüsse bekommt - das steht alles auf der Webseite. Buldioski ist daher auch überzeugt, dass es hier nicht um Transparenz geht - es gehe im Gegenteil um Vernebelung. Die Orbán-Regierung wolle die Akteure der Zivilgesellschaft diskreditieren.

Buldioski rechnet vor, dass Orbán selbst einst Soros-Stipendiat war. Dass zahlreiche ungarische NGOs vor Jahren, als Fidesz in der Opposition war, eben diese Opposition gegen die korrupte, sozialistische Regierung stützten. Dass OSF der Orbán-Regierung 2010 nach der Rotschlamm-Katastrophe in Westungarn zur Hilfe kam. Auch Orbáns Vorwurf, Soros finanziere Migration, um Europa zu zerstören, sei nicht nur absurd - "ganze sechs Prozent unserer Aktivitäten in Ungarn haben mit Flüchtlingsarbeit zu tun". Er lenke auch vom Wesentlichen ab. "Sie wollen kritische Stimmen zum Schweigen bringen."

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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