UN-Tribunal:Karadžić muss lebenslang in Haft

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Das UN-Gericht verschärft das Strafmaß für den ehemaligen bosnischen Serbenführer. Mit dem Urteilsspruch ist die juristische Aufarbeitung der Balkan-Kriege fast beendet.

Von Ronen Steinke, Berlin

Eine Strafe von 40 Jahren Gefängnis sei noch zu wenig für Radovan Karadžić. Angesichts des "schieren Ausmaßes und der systematischen Grausamkeit" der Verbrechen, die er zu Beginn der 1990er Jahre begehen ließ, sei selbst diese Strafe unangemessen niedrig, erklärte der Vorsitzende Richter Vagn Joensen aus Dänemark am Mittwoch in Den Haag. Fast ein Vierteljahrhundert nachdem serbische Kampfverbände in Bosnien einige der schlimmsten Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg verübt haben, ist damit der Schuldspruch gegen Karadžić als damals politisch Verantwortlichen bekräftigt und zugleich verschärft worden. Auch wenn es eher symbolisch ist - der Serbe ist inzwischen 73 Jahre alt: Karadzic muss nun lebenslang in Haft bleiben.

Die Zerschlagung des einstigen Vielvölkerstaats Jugoslawien in den 1990er Jahren hinterließ mehr als 100 000 Todesopfer vor allem in Bosnien, dem ethnisch vielfältigsten Teilstaat dieser Föderation. Radovan Karadžić führte damals in Bosnien die serbischen Nationalisten an. 1992 griffen sie zu den Waffen, als die anderen beiden Gruppen in Bosnien, Muslime und Kroaten, auf mehr Unabhängigkeit drängten. Mit Unterstützung der benachbarten Teilrepublik Serbien unter Führung von Slobodan Milošević gründeten sie in Bosnien einen eigenen serbischen Teilstaat auf etwa 70 Prozent der Landesfläche. Gegen Muslime und Kroaten gingen sie mit Gewalt vor, Hunderttausende wurden vertrieben.

Vor dem Tribunal der Vereinten Nationen in Den Haag ist Karadžić deshalb schon vor drei Jahren in erster Instanz verurteilt worden, wegen Völkermords, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Urteil der Berufungsinstanz nun, das endgültig ist, bezog sich auch noch auf einen zweiten Punkt neben der Verschärfung des Strafmaßes. Es ging um die Frage, ob die Verfolgung von Muslimen in bosnischen Kommunen, "ethnische Säuberung", wie Karadžić und andere Täter damals beschönigend sagten, als Völkermord einzustufen sei. Die Staatsanwaltschaft hatte dies gefordert. Die Richter lehnten es nun aber ab. Dieses Verdikt sei für Taten reserviert, die direkt auf die Auslöschung einer Gruppe zielten.

Mit dem Urteilsspruch ist die juristische Aufarbeitung der Balkan-Kriege fast beendet

Gemeint sind etwa Taten wie das Massaker von Srebrenica, für das Karadžić in einem anderen Punkt bereits als Völkermörder verurteilt worden war. Im Sommer 1995 hatten serbische Einheiten unter dem General Ratko Mladić die damalige UN-Schutzzone überrannt, in der Muslime lebten. Sie hatten anschließend etwa 7000 muslimische Männer und Jungen zusammengetrieben, gefesselt und erschossen. Der Ex-General Mladić ist deshalb vor zwei Jahren in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auch er hat Berufung eingelegt, über die jedoch noch nicht entschieden ist.

Mit dem Urteil gegen Radovan Karadžić ist die juristische Aufarbeitung der Balkan-Kriege durch die internationale Justiz nun beinahe beendet. Das Berufungsurteil gegen Mladić steht noch aus, gegen mehr als 160 Beschuldigte haben die UN aber bereits ihre Verfahren zu Ende geführt. Einige endeten mit Freisprüchen, viele mit hohen Haftstrafen. Die meisten, aber keineswegs alle Verfahren des UN-Tribunals richteten sich gegen Vertreter der serbischen Seite, die Führung um Karadžić, Mladić und Milošević. Der damalige Anführer der kroatischen Nationalisten hingegen, Franjo Tuđman, verstarb 1999, bevor er vor Gericht gestellt werden konnte.

Karadžić hatte während des Prozesses immer wieder seine Unschuld beteuert. Die Vorwürfe seien "haltlos", er sein kein Kriegstreiber, sondern im Gegenteil der "Friedenstifter des Balkans" gewesen. Nach der Verkündung des Urteils am Mittwoch jubelten Angehörige von Opfern im Gerichtssaal. "Endlich Gerechtigkeit", sagte Munira Subašić von der Organisation Mütter von Srebrenica. Der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz aus Belgien, mahnte hinterher: "Gegner des Tribunals werden behaupten, dass dieses Urteil eine Verurteilung des serbischen Volkes sei. Das weise ich mit aller Deutlichkeit zurück." Die Schuld Karadžićs liege bei ihm persönlich.

© SZ vom 21.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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