Umwelt:Hilflos am Straßenrand

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Ohne Unterstützung der großen Koalition in Berlin wird Stuttgart ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge nur schwer kontrollieren können.

Von Michael Bauchmüller

Die Bundesstraße von Esslingen nach Stuttgart, morgens um acht. Kilometerweit staut sich der Verkehr entlang des Neckars. Ausgerechnet auf Höhe des Daimler-Werks werden Fahrzeuge kontrolliert, die nach Stuttgart wollen, Auto für Auto. Eine Horrorvision.

So aber könnte es aussehen, sollten die Behörden in Stuttgart "Plan B" der Landesregierung konsequent exekutieren. Irgendwo zwischen Esslingen und Stuttgart beginnt die Umweltzone, und nach Plänen des Landes darf hier nur noch einfahren, wer entweder einen Benziner besitzt oder aber einen Diesel der neuesten Abgasnorm Euro 6. Alle anderen Dieselautos bleiben ausgesperrt. Wer aber sieht den Autos an, was unter der Kühlerhaube steckt?

Schon einmal gab es ein ähnliches Problem, ebenfalls wegen der Feinstaub-Konzentration. Auch seinerzeit drängte die EU zu wirksamen Schritten, die Belastung mit Rußpartikeln in deutschen Innenstädten zu vermindern. So entstanden 2005 die "Umweltzonen", und mit ihnen die "Kennzeichnungsverordnung". Seither geben rote, gelbe oder grüne Plaketten Aufschluss darüber, wie schmutzig die Fahrzeuge sind. In Stuttgart etwa gibt es seit 2008 eine solche Umweltzone, nur Benziner oder Diesel mit Partikelfilter dürfen noch rein. Jährlich verteilt das Ordnungsamt an die 20 000 Knöllchen für Autos ohne Plakette, in Berlin sind es 70 000.

Theoretisch ließe sich dieses System auch auf Dieselautos der Euro-6-Norm übertragen, mit einer eigenen Plakette. Das wiederum hängt mit einem anderen Stuttgarter Problem zusammen, der hohen Konzentration von Stickstoffdioxid, kurz NO₂. Wie 80 andere deutsche Städte hat auch Stuttgart Probleme, die europäischen Grenzwerte einzuhalten, Brüssel macht enormen Druck. Einer der Auswege könnte eine neue Plakette sein, diesmal für Fahrzeuge, die strengen NO₂-Grenzwerten genügen müssen - so wie Dieselautos nach Euro-6-Norm. Den Entwurf für eine entsprechende Verordnung gibt es schon, geschrieben hat ihn das Bundesumweltministerium. Er ist 30 Seiten lang und regelt neben der neuen Plakette die Einführung einer "NO₂-Zone". Auch neue Verkehrsschilder sieht er vor - etwa eines, das die Einfahrt in die City an geraden Tagen nur Autos mit gerader Nummer erlaubt und dem Rest an ungeraden Tagen. Doch alle Versuche, derlei Einschränkungen zu regeln, prallen bislang am Bundesverkehrsministerium ab. Denn für ein Fahrverbot, so findet Minister Alexander Dobrindt (CSU), braucht es keine neuen Plaketten. Es gibt schließlich schon die Umweltzone.

Vor knapp einem Jahr ließ er das auch seinen Kollegen in Stuttgart wissen, den Grünen Winfried Hermann. "Sollte es also in Stuttgart (...) zwingend geboten sein, bestimmte Verursacher im Straßenverkehr von der Einfahrt in das Stuttgarter Stadtgebiet abzuhalten, so stünde dafür im Bundesrecht bereits eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung." Bei "besonderen witterungsbedingten Ausnahmesituationen" müssten dann eben die städtischen Behörden entscheiden, wer rein darf und wer nicht. Eine Plakette sei "für die Verhängung eines Fahrverbots jedenfalls nicht nötig". Darin sieht sich Dobrindt mit so manchem Sozialdemokraten in den Ländern einig: Schließlich zwänge eine neue Plakette gerade Besitzer älterer Fahrzeuge dazu, sich ein neues zu suchen. Damit träfen die Fahrverbote sozial schwache Haushalte stärker als andere.

Ohne eigene Plakette wird "Plan B" schwierig, das schwant auch der Landesregierung Baden-Württemberg. "Insbesondere ist der Vollzug der Regelung - die Kontrolle über die Fahrzeugpapiere - kritisch zu sehen", heißt es schon in dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag. Im Klartext: Es ist illusorisch, das Verbot wirksam durchzusetzen. Auch kann das Ordnungsamt keine Knöllchen bei parkenden Autos verteilen, denn die Euro-Norm steht nur in den Fahrzeugpapieren. Selbst Diesel und Benziner lassen sich äußerlich kaum unterscheiden. Blieben also nur Stichproben im laufenden Verkehr. Schon das ist aufwendig.

Ganz ohne Haken freilich ist auch die Plakette nicht. "Viele Diesel-Autos der Euro-6-Norm halten die Stickoxid-Grenzwerte nur im Labor ein", sagt Marcel Langner, Experte für Luftqualität beim Umweltbundesamt. "Wenn man neue Plaketten einführen will, dann sollten sie jenen Autos vorbehalten sein, die nicht nur auf dem Papier niedrige Emissionen haben, sondern auch auf der Straße." Es gibt da eben noch dieses andere Autothema: Tricksereien bei Abgasmessungen.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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